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Berlin blutrot

Berlin blutrot

Titel: Berlin blutrot
Autoren: u.a. Sebastian Fitzek
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Das Maß aller Dinge war für ihn sein großer Roman Die Krönung, der er allerdings noch nicht geschrieben war, sondern nur als Entwurf in seinem Kopf wie seinem „Bauchhirn“ existierte. In sein Tagebuch hatte er einmal folgende Sätze geschrieben: Ich sehe mich als einen Menschen, der gerne tötet – und zwar mit dem Wort als Waffe. Ich bin von einem tiefen Hass gegen alle erfüllt, die da Bücher schreiben und sich dadurch zur geistigen Elite zählen. Ich will sie vernichten. Alle! Ihr erstes Buch soll auch ihr letztes gewesen sein, in die Psychiatrie sollen sie kommen, Alkoholiker werdenoder Selbstmord begehen! Nun, mit seiner Kolumne Der Verriss der Woche, die er unter dem Namen MacÄtz veröffentlichte, war ihm schon so mancher Blattschuss gelungen. An der Wand neben seinem Arbeitsplatz hing die Zeichnung eines bekannten Berliner Karikaturisten. Sie zeigte ihn als römischen Kaiser auf den Rängen des Kolosseums. Unten im Sand der Arena kämpften die Literaten gegeneinander wie weiland die Gladiatoren, und er senkte den Daumen, um die Löwen herein zu lassen, sie zu zerfleischen.
    Das Feuilleton liebte Martin Atzert und pries seine intellektuelle Größe ebenso wie seine analytische Genialität und seine Sprachgewalt, und mancher Preis war ihm schon verliehen worden. Auch verdiente er mit seinen Verrissen und anderen Buchbesprechungen, Radio-Essays und Lesungen so gut, dass er sich eine noble Wohnung auf der westlichen Seite des Bundesplatzes leisten konnte. Er war gerade von seiner zweiten Frau geschieden worden und lebte derzeit allein
    Der Paketbote klingelte und brachte ihm einen ganzen Stapel von Rezensionsexemplaren. Atzert schlitzte die Pappkartons auf und zog die Bücher heraus, überwiegend Hardcover, aber
    auch ein Taschenbuch: Damian Dritter, Der Flug vom Teufelsberg. Ohne auch nur die Inhaltsangabe zu lesen, warf es Atzert in den Papierkorb.
    Gennoch brauchte Geld und streifte durch die Straßen von Friedenau und Wilmersdorf, um auf eine günstige Gelegenheit zu hoffen und Beute zu machen. Ältere Frauen stellten gerne ihre Einkaufstaschen ab, um die Haustür aufzuschließen – und manchmal lag ihr Portemonnaie oben auf. Männer schlossen oft ihr Fahrrad nicht an, wenn sie nur eben mal eine Zeitung kaufen oder eine Bockwurst essen wollten – und dann konnte er sich in den Sattel schwingen und davon radeln. Mieter ließen ihr Wohnungstür oft nur angelehnt, wenn sie schnell einmal den Müll zum Container bringen oder ihre Post unten aus dem Hausbriefkasten holen wollten – und dann blieben ihm ein, zwei Minuten, sich schnell das zu greifen, was offen herum lag, Geld,Schmuckstücke, iPods oder CD-Player. Um keinen Verdacht zuerregen, verkleidete er sich entweder als Handwerker oder ging als jemand, der Prospekte verteilte.
    Heute hielt er einen Packen Flyer in der Hand. In vielen Restaurants fanden sich die in großen Gestellen auf dem Gang zur Toilette. Eigentlich kam man ohne Schlüssel in kein Mietshaus, aber immer wieder standen Haustüren offen, weil Handwerker ein und aus gingen oder jemand mehrere Gepäckstücke zum Auto tragen und nicht ein jedes Mal aufschließen wollte. Doch heute hatte er Pech, niemand tat ihm den Gefallen. Er kam vom Südwestkorso, wo sich nichts ergeben hatte, und überlegte an der Einmündung in die Bundesallee, ob er nach links oder nach rechts abbiegen sollte. Seine Intuition trieb ihn nach links, und nachdem er unter den breiten Brücken der S- und der Stadtautobahn hindurchgegangen war, sah er das weite Oval des Bundesplatzes vor sich liegen. Auf beiden Seiten gab es stattliche Häuser aus der Kaiserzeit, da war sicherlich etwas zu holen. Die östliche Ecke, wo die Wexstraße ihren Anfang nahm, sah vergleichsweise ärmlich aus, da war seit Ewigkeiten nicht mehr renoviert worden, also blieb er auf seiner Seite und sondierte des Terrain. Erst kamen ein Zeitungsladen und das „Roma“, dann die Detmolder Straße mit den Ampeln. Er hatte grün und lief zum Mexikaner hinüber, zum „Alcatraz“. Bis zur Mainzer Straße folgten ein Schreibwarenladen, ein altberliner Lokal und eine Apotheke, dahinter ein Restaurant der „Romiosini“-Kette und verschiedene Geschäfte. Er entdeckte das Schild eines HNO-Arztes, und das war der entscheidende Auslöser für ihn, denn man kann nie bequemer in ein Haus, als wenn man auf den Klingelknopf einer Arztpraxis drückte. Außerdem fiel man dort als Fremder nicht auf. Gedacht, getan.
    Im Hausflur legte er seine Flyer oben auf
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