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Berlin blutrot

Berlin blutrot

Titel: Berlin blutrot
Autoren: u.a. Sebastian Fitzek
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ihr Gesicht erinnerte ihn an Masken, die Männer auf Neuguinea trugen, um ihre Feinde in die Flucht zu schlagen. Dazu kam das schreckliche Brühwein
    „Sie sind der Herr …?“
    Dass sie sich beim Telefonieren seinen Namen nicht gemerkt hatte, traf ihn wie ein Kolbenhieb, denn das zeigte ihm, dass sie noch nie einen seiner Romane gelesen hatte. Er wäre aufgeblüht, wenn sie ausgerufen hätte „Ah, der Damian Dritter!“ und mit dem Schüler im Faust fortgefahren wäre: „Ich bin allhier erst kurze Zeit, / Und komme voll Ergebenheit, / Einen Mann zu sprechen und zu kennen, / Den alle mir mit Ehrfurcht nennen.“
    Nun kam er zwar zu ihr und nicht sie zu ihm, aber dennoch.
    Er stellte sich vor und offerierte ihr sofort seine Selbstdiagnose.
    „Dritter! Und mein Problem besteht darin, dass ich immer Erster sein will.“ Das war nun, wie er sehr wohl wusste, einigermaßen schönfärberisch gesagt, denn im Ranking seines Genres belegte er keineswegs den dritten Platz, was wunderbar gewesen wäre, sondern vielleicht den dreihundertsten.
    Sie führte ihn zu ihrer Sitzecke und bat ihn, Platz zu nehmen.
    „Am Telefon haben Sie mir gesagt, Herr Dritter, dass Sie Schriftsteller sind … Was schreiben Sie denn?“
    „Na, Kriminalromane …“ Da er annahm, sie würde es unter Doris Lessing nicht machen, schämte er sich ein wenig bei diesem Bekenntnis. Doch sie reagierte begeistert
    „Was meinen Sie, was ich am liebsten lese!? Ich habe Hunderte von Kriminalromanen in meinen Regalen. Unter welchem Pseudonym haben Sie denn Ihre Romane veröffentlicht?“
    „Früher unter Edgar Wallace, neuerdings unter …“ Er nannte die Namen einiger angesagter Größen.
    Für Arina Brühwein war die erste Diagnose schnell gestellt: Narzisstische Bedürftigkeit, das heißt, ein unersättliches Verlangen nach der Anerkennung und der Bewunderung durch Andere. Dritter brauchte das wie eine Droge – und diese Droge bekam er nicht. Es gab keine Maske der Grandiosität, hinter der er seine Minderwertigkeit verstecken konnte; er war gezwungen, sie offen zur Schau zu tragen. Und natürlich machte das auf Dauer krank, ließ einen Menschen depressiv werden und zur Flasche greifen, bis er sich schließlich vor die U-Bahn warf. Sie bat Dritter, von sich zu erzählen
    „Nun, mir geht es wie dem Mann in dem alten Witz, als er zum Arzt geht: 'Herr Doktor, ich leide darunter, dass ich nirgends richtig wahrgenommen werde …' - 'Der Nächste bitte!'“
    Arina Brühwein lächelte. „Hier und heute werden Sie aber wahrgenommen.“
    „Ja, aber gestern Abend beim Geburtstag meiner Schwester … Alle hatten sich so wunderbare Geschichten zu erzählen. Wo sie die leckerste Currywurst Berlins gegessen hatten und auf welcher Fanmeile es am geilsten gewesen ist. An welchem Roman ich gerade sitze, hat aber keinen interessiert, und im Fernsehen bin ich auch nicht gewesen.“
    „Aber bei Ihren Lesungen, da haben Sie doch Ihr Publikum …?“
    Dritter lachte. „Bei welchen Lesungen denn!? Und wenn ich mal eine habe, dann ist die in keiner Zeitung angekündigt. In Berlin ist es schwer bis fast unmöglich, in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Mit den drei Kriminalromanen, die bisher von mir erschienen sind, wäre ich in Kyritz an der Knatter der Held und der größte Sohn der Stadt, hier in Berlin aber bin ich ein Nobody, Mister No-name. Und das bringt mich á la longe irgendwie um, denn es gilt doch nun mal: Ich bin nur, wenn ich in den Medien bin.“
    Arina Brühwein überlegte. „Da gibt es doch die Buchbesprechungen von diesem MacÄtz …?“
    „Ja, das ist der Martin Atzert. Aber bei dem stehe ich nicht einmal auf der Abschussliste, was mich ja schon glücklich machen würde, der übersieht und übergeht mich ebenso permanent wie konsequent, was viel schlimmer ist.“
    Die meisten Romane, die auf seinem Schreibtisch landeten, blätterte Martin Atzert nur flüchtig durch und las höchstens den einen oder anderen Kapitelanfang und vielleicht noch den Schluss. Für mehr reichten weder Zeit noch Kraft. Es gab selten ein Buch, das ihn nicht langweilte, wenn nicht gar anekelte, und war er wirklich einmal angetan von Stil und Inhalt, von Sinn und Form, dann gab es dennoch einen Verriss, wenn der Autor oder die Autorin auf seiner Abschussliste standen – und auf die gerieten alle, die sich spreizten und ihre eigene Grandiosität offen zur Schau trugen. Nur einer in der Szene hatte seiner Meinung nach das Recht, sich für grandios zu halten: er selbst.
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