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Berlin 1933-1945: Stadt und Gesellschaft im Nationalsozialismus (German Edition)

Berlin 1933-1945: Stadt und Gesellschaft im Nationalsozialismus (German Edition)

Titel: Berlin 1933-1945: Stadt und Gesellschaft im Nationalsozialismus (German Edition)
Autoren: Unbekannt
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Andersdenkender über die gesamte Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft hinweg den angespannten Wohnungsmarkt latent entlastet. Von den ersten Auswanderungswellen 1933 bis zu der seit 1941 verschärften Vertreibung der Juden aus ihren Wohnungen durch die Behörde des GBI dienten die frei werdenden Kontingente faktisch als Ventil am Wohnungsmarkt. Dass die entscheidende Rolle der Speer-Behörde bei diesen Wohnungsräumungen, die in engem Zusammenhang mit den Deportationen der Juden stand, bis zu ihrer Aufdeckung durch Geist/Kürvers und später Willems so lange unbekannt oder unterschätzt blieb, gehört zu den irritierendsten Befunden in der jüngeren Historiographie zum nationalsozialistischen Berlin.
    Die Analyse zeigt drittens, dass das seit 1918 etablierte System einer sozialen Wohnungspolitik mit den Mitteln der öffentlichen Wohnungsbauförderung und des Mieterschutzes als Instrumentarien einer »Ordnung der Moderne« 96 selbst durch seine erklärten nationalsozialistischen Gegner nicht mehr revidiert werden konnte, ja zum Teil noch ausgebaut wurde. Die Wohnungspolitik der Stadtverwaltung, vertreten vor allem durch das Stadtplanungsamt, der diesem angegliederten städtischen Wohnungsbaugesellschaft GSW und der WBK,
stand dabei, viertens, keinesfalls ganz im Schatten Speers, sondern spielte eine eigenständige Rolle im Konzert der Machthaber. Hier ist vor allem die koordinierende Wirkung des bisher von der Forschung völlig übersehenen Stadtrats Adalbert Pfeil hervorzuheben, der über die gesamte NS-Zeit in allen wichtigen Gremien saß und nicht zuletzt die gegen Juden gerichtete Politik von Gauleitung, Stadtpräsident, Oberbürgermeister und Generalbauinspektor vermittelte. Statt von einer Stadtverwaltung im Schatten und unter Kuratel der Speer-Behörde ist eher von einem arbeitsteiligen, organisationstechnisch effizienten nationalsozialistischen Konglomerat zu sprechen, dessen zentrale Kerne GSW und WFG in anderem Kontext noch weit in die Nachkriegszeit hinein arbeiteten.
    Im Hinblick auf die Ausgangsfrage nach den epochenübergreifenden Kontinuitäten und Brüchen markieren schließlich, fünftens, die frühen 1930er Jahre, und hier vor allem der Austausch des Führungspersonals, den wohl tiefsten Einschnitt. Die in dieser Zeit vertriebenen Repräsentanten des Wohnungs- und Bauwesens der Weimarer Republik kehrten nach 1945 in der Regel nicht in führende Positionen zurück, während wichtige konzeptionelle Grundlagen aus der Weimarer Zeit, die Reorganisation der kommunalen Wohnungswirtschaft in der NS-Zeit und einige in dieser Phase aufgestiegene Funktionsträger noch lange im West-Berlin der Nachkriegszeit fortwirkten.
     
    PD DR. CHRISTOPH BERNHARDT
    (geb. 1957), Abteilungsleiter am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner.

WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS IN BERLIN
    »Widerstand ist nicht, Widerstand wird!«, mit diesen Worten fasste Joachim Gauck im Juli 2004 den prozesshaften Charakter aller gegen die nationalsozialistische Diktatur gerichteten Verhaltensweisen zusammen. Dies ist aber nicht nur ein Hinweis auf die Vielfalt und auf die sich wandelnden Formen des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus, sondern auch ein Indiz dafür, dass sich dieser Widerstand statischen und monokausalen Erklärungsversuchen entzieht. »Widerstand« charakterisiert ein breites Feld von Verhaltensweisen unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Diktatur. Wenn der Widerstand gegen den Nationalsozialismus als Begriffs- oder Wortfeld verstanden wird, dann umfasst dies Zuschreibungen wie Widerstand, Widerstehen, Dissidenz, Resistenz, Selbstbehauptung, Opposition, Verweigerung und vieles mehr. Gemeinsam ist diesen Begriffen, dass es sich um die Beschreibung eines Verhaltens weniger Deutscher handelt, um das Verhalten einer kleinen Minderheit der deutschen Gesellschaft. Doch die Existenz von Menschen, die sich der Diktatur verweigerten, zeigt, dass es auch in der Diktatur Spielräume für eigenverantwortliches politisches Handeln gab. Widerstandsforschung fragt aber nicht nur nach der Existenz dieser Handlungsspielräume, sondern auch danach, wie Milieus, Gruppen oder Einzelne diese genutzt haben. Wenn es – vergröbert – als Entscheidungsalternativen in der Diktatur die aktive Unterstützung, die Anpassung und eben die Gegnerschaft gibt, dann ist nach den Rahmenbedingungen zu fragen, unter denen die Entscheidung für eine dieser Alternativen jeweils fiel.
    Wir
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