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Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Titel: Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers
Autoren: BLV Buchverlag GmbH & Co. KG
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Möglichkeiten vorstellen, zum Nordpol zu kommen. Will ich aber die Qualität der Reise wahren, bleiben höchstens eine Handvoll Spielmöglichkeiten. Meine Vorgaben: Verzicht auf Motoren jeder Art, möglichst keine Hilfe von außen, die Rückreise als wichtigster Teil der Herausforderung. Nun gilt es, Partner für diese Realutopie zu finden. Denn werden Visionen von mehreren getragen, steigt die Tendenz zur Realisation. Es geht mir vorerst um einen Versuch. Ohne einen Versuch zu wagen, kann ich nicht zu den richtigen Lösungskombinationen kommen.
    Zum »erfolgreichsten Bergsteiger« bin ich nur geworden, weil ich mehr gestiegen bin als alle anderen meiner Generation. Wenn ich nur ein oberflächliches Interesse an den neuen Ideen gehabt hätte, wäre mir weder die Kreativität noch die Energie zugewachsen, 30 Versuche allein an den Achttausendern zu wagen. Wenn ich nun mit Beharrlichkeit, ja Frechheit weiterwürfle, dann nicht deshalb, weil ich vom Nervenkitzel nicht lassen kann, sondern vor allem, weil ich weiß, dass ich nur mit Versuchen zu neuen Kombinationen finde.
    Immer wieder, wenn ich versuche, neue Ideen zu verwirklichen, besteht das Risiko des Scheiterns. Grenzgänger, die besser waren als ich, scheiterten, weil sie dem Scheitern aus dem Weg gingen. Bald fiel ihnen nichts mehr ein.
    Erling Kagge, ein Nordpolfahrer aus Norwegen, besucht mich auf Juval. Wir tauschen Erfahrungen aus. Er will zum Südpol (Alleingang 1992/93 gelungen), ich zum Nordpol. Wir wären ein gutes Team, haben aber vorerst entgegengesetzte Interessen. Wir sind uns aber einig darüber, dass unser Tun, verstanden als kreativer Aufbruch, nicht die Welt verändert. Es ändert allein unser Verhältnis zu uns selbst, zur Welt. Wir verschaffen uns außerhalb von Organisation und »Arbeit« ein Spielfeld für kreatives Tun.
    Den Vorwurf, wir Grenzgänger seien auf der Flucht, höre ich täglich. Vielleicht stimmt es. Sicher bin ich aber, dass ich nicht vor etwas oder vor jemandem fliehe. Mein Unterwegssein ist eine Flucht hin zum Geheimnisvollen und Realen. Obwohl die Gedanken nicht mehr um das Naheliegende kreisen. In bestimmten Augenblicken erfassen wir das Ganze um uns und in uns. Wir erkennen Zusammenhänge, die nur aus großer Distanz überschaubar sind. Was mich stark gemacht hat, sind diese Neugierde und die daraus wachsende Innovationskraft. Noch sehe ich keine Gefahr, sie zu verlieren. Aber die Zeit drängt. Es ist nämlich schwieriger, etwas Neues zu tun (Innovation), als etwas Neues zu erfinden (Kreativität). Ersteres ist beim Grenzgang wesentlich abhängig auch von Körperfunktionen, die mit zunehmendem Alter abnehmen.
    Wenn ich Alpinistik und Eiswandern der letzten 25 Jahre betrachte, in denen ich aktiv war, fällt auf, wie wenige Mut und Energie aufbrachten, neue Ideen zu verwirklichen. Das Können war bei vielen groß. Es gab »Schulen« (USA, Großbritannien, Polen), in denen es zur Befruchtung von Visionen durch Taten kam. Aber es waren immer wieder kleine Räume, aus denen Grenzgänger in Serie hervorgingen.
    Wenn sich Einzelne gegenseitig zu Höchstleistungen »anspitzen«, entsteht ein Innovationsschub. Als ginge es um ein Leistungsstechen.
    Eine Handvoll Engländer waren es in den Siebzigerjahren, mit der Integrationsfigur Chris Bonington. In den Achtzigerjahren trieben die polnischen Höhenbergsteiger einander zu immer neuen Grenzgängen an. Heute dominiert die slowenische Schule, obwohl die Lehrmeister bereits tot sind.
    Als Eisfahrer sind immer Norweger führend gewesen, seit Nansen und Amundsen Arktis und Antarktis bereist haben. Auch, weil es dort neben den Möglichkeiten mehr Konkurrenz gibt. Engländer, welche die Norweger herausforderten (Scott, Finnes), haben diese zu noch mehr Kreativität angeregt.
    Sommer 1992
    Der Engländer Wally Herbert, dem mit der Überquerung des nördlichen Polarmeeres –von Alaska über den Nordpol nach Spitzbergen – die vielleicht kühnste Arktisreise des letzten Jahrhunderts gelungen ist, kommt als Künstler nach Juval. Er zeichnet und malt, was er in seiner Erinnerung als Bilder und Lichtstimmungen aus seinen vielen Jahren im Eis (Antarktis, Grönland, Nordpol) mitgebracht hat.
    Wieder eilen meine Gedanken weit voraus und – als Wally beweist, dass Robert Peary 1909 nicht am Nordpol gewesen sein kann – weit zurück. Das Zurückkommen vom
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