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Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Titel: Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers
Autoren: BLV Buchverlag GmbH & Co. KG
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(Vorträge über Grenzgänge zum Bei spiel) ist wenigstens zweierlei zu berücksichtigen. Erstens werden dabei allzu häufig die Hypothesen mit der Realität verwechselt. Zweitens ist im Saal oder beim Dinner die Natur zu weit weg. Wenn da einer erzählt, dass jeder seinen eigenen Everest besteigt oder Fehler beim Soloklettern tödlich sind, bleiben das leere Phrasen. (Peinlich sogar, wenn der auftretende Solokletterer noch von seinem Absturz erzählen kann! Weil er nur wenige Meter über dem Boden kletterte, blieb er, wenn auch verletzt, am Leben.) Solche Sprüche verschaffen Zuversicht, aber keine Aufregung; ein Aufatmen, aber kein tiefes Einatmen.
    Gute Schlagworte – auch wenn noch so gute Ideen dahinterstecken – sind weniger wert als reale Erfahrungen, reale Handlungssituationen, reale Verantwortung. Kreativität wächst dir in der Aktion zu, weniger beim Staunen. Authentische Erfahrungen mit ernstem Charakter haben – erzählt – meist nur einen Informationswert für andere Grenzgänger. Für Außenstehende können sie einen Unterhaltungswert besitzen. Mehr nicht.
    Nichts ist leichter für einen »Abenteurer«, als den Erlebnishunger seiner Nichtabenteurer-Zuhörer in Bewunderung umzumünzen. Urteilsfähigkeit kann nur entstehen, wenn sie gefordert wird. Das gilt für jede Sparte.
    Ich benütze das Wort »Arbeit« mit Absicht nicht für mein Tun. Ich bin unterwegs. Ich lebe. Ich bin. »Arbeit« beginnt mit Sesshaftigkeit. Jahrtausendelang hat sie der Mensch als Grundlage der Selbsterhaltung zugleich verherrlicht und verdammt. Ich verherrliche mein Tun als »Nicht-Arbeit«.
    Auch wenn ich Spitzenkräften aus Wirtschaft und Politik Outdoor-Erfahrun-gen und Vorträge anbiete, wie es der Kanadier John Amatt tut, arbeite ich nicht. (Ob mit dieser Haltung der Zwang verdrängt werden soll oder der Kreativitätsverlust durch die Arbeit, weiß ich nicht.)
    Ich möchte also nicht arbeiten müssen, und doch betreibe ich mein Tun mit größerer Besessenheit als viele andere. Auch Besessenheit hat mit Abhängigkeit zu tun. Besessensein ist der Zaun, über den der Kreative immer wieder springen muss.
    Wenn ich den Begriff »frei sein« verwende, meine ich nicht nur die Freiheit von etwas; die Freiheit zu etwas ist wichtiger. Um kreativ sein zu können, muss ich zuallererst infrage stellen können: Dagewesenes, Regeln, Dogmen, Bürokratie.
    Alles Gewohnte, Eingespielte, Festgeschriebene ist antikreativ!
    Kreativ sein heißt wagen, spielen, würfeln. Um zu neuen Kombinationen zu kommen, darf ich nichts als gegeben annehmen. Ich muss offen sein für das Unerwartete, bereit, auch zu verlieren. Die Grundvoraussetzungen für ein kreatives Leben sind Neugierde, Tat und Scheitern. Im Abenteuer haben immer wieder Spieler bahnbrechend Neues geleistet. Sir Edmund Hillary zum Beispiel, der Erst-besteiger des Mount Everest, war vor 40 Jahren nicht für den Gipfelsturm vorgesehen gewesen. Als aber Evans und Bourdillon scheiterten – der Weg vom Südgipfel bis zum Hauptgipfel erschien ihnen zu lang, unüberwindbar –, stand Hillary bereit, einen Versuch zu wagen. Im erfolgbesessenen Sherpa Tenzing, der früher schon beim Versuch, den Everest-Gipfel zu erreichen, wiederholt gescheitert war, hatte er den bestmöglichen Partner.
    Die beiden sollten nicht nur Erfolg haben, weil ihre Vorgänger den notwendigen Erfahrungsschatz für sie gesammelt hatten. Sie waren bereit, zu wagen, das Spiel in einer anderen Kombination zu spielen: Hillary und Tensing biwakierten in einem Zwischenlager auf 8500 Metern, bevor sie bis zum Gipfel gingen. In so großer Höhe hatte vorher noch nie jemand genächtigt. Weil Hillary und Tensing aber zu dieser Kombination gefunden hatten, kamen sie ganz hinauf.
    Amundsen hatte mit seinem kleinen Schiff, als er die Nordwestpassage durchfuhr, Erfolg, weil er kreativ war. Seine Mini-Expedition vollführte, was Riesenunternehmen mit Tragödien bezahlt hatten.
    Frühjahr 1989
    Nansen, der kreativste aller Arktisfahrer, hat zwar den Nordpol nicht erreicht, zusammen mit Johansen aber einen Marsch bis zum 85. Breitengrad und zurück zum Franz-Joseph-Land überlebt. Die »Fram«-Reise scheint an Dramatik und Schwierigkeit nicht überbietbar. (»Fram« war Nansens Schiff, der Name bedeutet in der Übersetzung »vorwärts«.) Nansen war offen für das
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