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Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Titel: Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers
Autoren: BLV Buchverlag GmbH & Co. KG
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bedrohen. Der Radikalismus des Grenzgangs verändert die Lebensprozesse derart, dass das Leben über jede Umgebung hinweg herausgerissen erscheint und doch wieder Alltag wird. So kann ich Bewusstsein über mein eigenes Bewusstsein aufbauen, auch wenn ich zwischendurch völlig aufgehe in meinem Tun. Bewusst nutze ich beim Grenzgang pure Zufälle (den Wind in Grönland zum Beispiel). Ich bleibe programmiert auf Zukunft. Auch wenn ich damit spiele, die notwendigen Lebensgrundlagen – Sauerstoff, Licht, Wärme, Wasser, Feuer, Land – nach und nach auszuknipsen. Optimismus (trotz Selbstkritik) bleibt meine Grundhaltung.

    Rückzug in der Arktis (Zeichnung von Julius Payer).
    Erst wenn das Puzzle stimmt, habe ich die Übersicht.
    Ich fülle meine Tagträume mit Mythen und Legenden. So wird eine großartige Idee daraus. Dies lässt mir Energie zuwachsen. Obwohl ich rational weiß, dass jede neue Idee so nutzlos ist wie die vorhergehende, entwickle ich ein ausgeprägtes Selbstverständnis für sie. Bis sie realisiert, erfüllt ist.
    Nicht nur wir Grenzgänger müssen weg von der Sprache der Militärs, von den Gesten der Krieger; wir müssen auch weg von der Planung und Strategie, die der Militärmetapher entsprechen. Autonomes Handeln, situative Kreativität, Mut zur Veränderung sind die Grundlagen für ein mögliches Morgen. In einer Sprache, die voll ist von militärischen Metaphern – »der Gipfelsieg«, »die Truppe«, »ein Gipfelangriff« –, werden wir den spielerischen Charakter unseres Tuns nicht zum Tragen bringen. Mit einem neuen Geist brauchen wir schließlich auch eine neue Sprache.
    So wie mein Bergsteigen anders war als das der Gralshüter des Alpinismus, will ich auch als Grenzgänger meinen Weg gehen. Ich bin niemandem in Nibelungentreue verbunden, und ich will den Pharisäern ein Dorn im Auge sein. Ich werde mich also weiter wehren, durch meine Träume, meine Existenz, meine Taten. Ich bin ein lebendiger Widerspruch zu den jeweiligen Institutionen.
    Ich werde weitermachen. Ich muss. Wenn ich unzufrieden bin, werde ich krank, verliere ich meine Kraft, auch die schöpferische Potenz. In meinem »unnützen« Tun bin ich lebendiger.
    Wenn wir Grenzgänger Führungskräften aus der Wirtschaft oder Politik etwas zu geben haben, dann weniger unsere Erfahrungen. Diese bleiben für sie Ergebnisse aus zweiter Hand. Sicher ist es für jemanden, der in seinem engen Betätigungsfeld sehr viel leistet, interessant, Erfahrungen von Grenzgängern anderer Art zu hören. Inwieweit diese aber umzusetzen sind, ist anzuzweifeln, solange die »Schüler« nicht mitgenommen werden. Zeitweiliges Aussteigen hingegen für ein bewusstes Einsteigen oder Umsteigen tut ihnen gut.
    Es gibt eine Reihe von Bergsteigern, Abenteurern, Seefahrern, die zu Managerschulungen herangezogen werden. Natürlich kann ein Manager von IBM oder der Filialleiter einer Bank nicht mit mir auf den Everest steigen oder zum Nordpol laufen. Aber er kann an der Grenze seiner Belastbarkeit zu neuen Ideen finden. Auf kleineren Bergen, an stillen Plätzen. Im Idealfall in kleinen Gruppen. Es reichen ein paar Tage außerhalb seines Arbeitsbereichs, um ihm den Boden unter den Füßen wegzuziehen, die Augen zu öffnen. Jeder von uns braucht schöpferische Pausen.
    Der Alpinist John Amatt hat seit Jahrzehnten Erfahrungen mit Managerschulungen. Er hat ein Konzept entwickelt, das er in der Praxis und Theorie als »Adventure attitude« vermittelt. Meine Erfahrungen decken sich teilweise mit seinen Aussagen. Ich weiß, dass ein Hineingeworfensein in die wilde Natur jene Ängste und Unsicherheiten abbaut, denen gerade wir Menschen am Beginn des dritten Jahrtausends ausgesetzt sind: Einsamkeit, Lebensangst und Orientierungslosig-keit. Wir alle haben Angst vor dem Tod. Auch ich habe mich nicht von der Todesangst befreit. Obwohl ich Todesnähe erlebt habe, sogar einmal das Gefühl, gestorben zu sein. Mit einer Art Wiedergeburt hat ein zweites Leben für mich angefangen. In diesen todesintensiven Situationen habe ich viel gelernt. Aber auch sie gehören nur zu meiner Biografie.
    Der Nordpol, den ich erreichen will, wo ich aber genauso gut auch ein zweites Mal scheitern könnte, bedeutet mir mehr. Mehr auch als die Besteigung aller Achttausender zusammen. Ich lebe also viel mehr vom Jetzt und vom Morgen als vom
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