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Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Titel: Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers
Autoren: BLV Buchverlag GmbH & Co. KG
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Undenkbare. Im Chaos der driftenden Eismassen fand er zu jener Kreativität, die Schiff und Mannschaft die schlimmsten Gefahren überleben ließ. Tag für Tag. Monat für Monat. Jahr für Jahr. Von 1893 bis 1896. So verrückt es klingen mag: Chaos ist die bessere Voraussetzung für Kreativität als Ordnung. Ordnung entspricht nicht der Realität. Ordnung ist nur unser Wunschdenken. Auch wenn uns die H klassische Physik eine Ordnung vortäuscht. Sie ist eine oberflächliche, von uns erdachte.
    Sommer 1990
    Kreativität wächst uns zu mit Einblicken in die »Naturgesetze«, mit Erfahrungen sozialer, wirtschaftlicher, historischer Art. Mehr noch, wenn wir in jenes Chaos geworfen werden – draußen oder in uns drinnen –, das unter einem Firnis von Vorurteilen die Welt ausmacht. Wie schnell du ganzheitlich sehen, denken, empfinden lernst, wenn du in der Wildnis an deine Grenzen stößt! Denken und Tun werden eins. Es ist dann, als ob die zwei Hälften deines Gehirns synchron denken würden. (Alles, was auf mehreren Ebenen wahrgenommen wird, ist auch auf mehreren Ebenen bewusst.)
    Ich will über die Mitgliedschaft in einer universalen, demokratischen Wohlstandsgesellschaft hinaus die Chance haben, dem Ungewissen ausgeliefert zu sein: mit täglichen Risiken, den weißen Blättern vor mir, der Beweispflicht mir selbst gegenüber. Ich funktioniere nicht nur nach ökonomischen Mustern. Wenn ich also weiterhin nach Grenzgängen hungere, dann vor allem deshalb, weil ich auf mehreren Ebenen erfahren will. Ein Leben ohne Leidenschaft, ohne Risiko kann ich mir nicht vorstellen. Ich möchte nicht zum ängstlichen Herdenwesen oder Konsumtier verkommen.
    Herbst 1990
    Lebensqualität messe ich nach der Qualität der Herausforderungen, nicht nach der Quantität der materiellen Voraussetzungen. So träume ich nach dem Scheitern weiter vom Nordpol – jetzt schon im Unterbewussten.
    Obwohl ich im Sommer 1995, vier Monate nach dem frühzeitigen Aus der Arktis-Überquerung, durch einen nächtlichen Sturz von der Schlossmauer für Monate bewegungsunfähig bin (Trümmerbruch des rechten Fersenbeines), gebe ich die Nordpol-Idee nicht auf. Es werden mehrere operative Eingriffe notwendig sein, ehe ich erste Gehversuche machen kann. Anschließend will ich wieder trainieren, zu früherer Ausdauer zurückfinden.
    Aber auch wenn ich gehbehindert bleiben sollte, werde ich mich nicht aufgeben. Mit ganz neuen Situationen im Leben zurechtzukommen – Krankheit, Armut, Alter – gehört zu jenen Fähigkeiten, die gerade im Umgang mit dem Chaos wachsen. Natürlich kommt niemand spielerisch über solche Probleme hinweg. Aber es gibt für jede(n) Alternativen. Diese zu suchen und nochmals in ein Tun einzusteigen wird die Kunst dabei sein.
    Ich hoffe, dass ich mich nicht dabei verirren werde, und bin bereit, Erfahrenere um Rat zu fragen, um mein neues Aufgabenfeld zu finden.
    Es gibt nicht nur Berge und Wüsten, ich kann mir eine Reihe von Tätigkeiten darüber hinaus vorstellen, in die ich Sinn legen, in denen ich Spaß finden und bei denen ich meine ganze Person einsetzen kann. Unabhängig nämlich vom Was bin ich motiviert, mich einzubringen, auch ohne jede äußeren Anreize bereit, etwas zu leisten. Während ich mich also erstmals auch mit dem Ausstieg aus der Welt des Grenzgängers beschäftige, halte ich an meinen Plänen vorerst fest. Ich will wieder ganz gesund werden.
    Und gleichzeitig (sehr langsam) reift ein weiterer Tagtraum heran: einmal in einer Wüste zu stehen – nur mit dem Rucksack, ohne genaue Karte. Nicht zu wissen, wo ich mich befinde, und mich durchzuschlagen. Diese maximale Chance bleibt mir auch als Invalide als Möglichkeit. Eine solche Askese ist allerdings nur auf dem Festland möglich. Nicht am Nordpol, den ich zuerst erreichen will.
    Ich bin kein 20-jähriger Aussteiger mehr. Meine Verweigerung richtet sich nicht gegen den Staat und die kapitalistische Welt. Sie sucht sich jenseits von Datennetzen und Polizeigesetzen eine Existenz, ein Reservat, ein Spielfeld.
    Ich würde mein Leben mit niemandem tauschen. Auch weil ich weiß, dass ich nichts haben kann, was ich nicht selbst erfahre und erleide. Auch die Erfahrung von gestern reicht nicht aus, kein guter Wille.
    Unser Leben ist zwar auf Schritt und Tritt von Spannungen durchzogen, sie sind aber nicht gewaltsam genug, uns zu
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