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Berge Meere und Giganten (German Edition)

Berge Meere und Giganten (German Edition)

Titel: Berge Meere und Giganten (German Edition)
Autoren: Alfred Döblin
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Du kannst es tun. Tu es, wenn du die Augen auf hast.« »Ich tue es nicht. Ich bleibe bei dir, Hojet Sala. Jetzt mehr als sonst. Du wirst Reue um mich empfinden.« »Ich will dich nicht. Sprich mich nicht an. Dich kenne ich. Grausige. Du – bist aus dem Geschlecht der Giganten. Du bist die letzte. Du bist selbst ein Untier, das Grönland ausgeworfen hat. Du lebst in mir, gräßlich: meine Besinnungslosigkeit. Laß dich anfassen, liebe Besinnungslosigkeit. Der Steile Absturz bin ich.« Sie wimmerte: »Ich schäme mich. Wie bin ich geschändet. Süße Erde, nimm mich.«
    In den Qualmwolken der Spalte flatterte Venaska, den Boden in ihrer sanften Art streichend. Sie kroch weg, verschwand vor Hojet Sala, der hinter ihr schäumte.
    Am selben Tag verließen die Fahrer das Rhonetal. Der Steile Absturz hatte vor den andern geglüht: »Venaska ist weg. Ich habe sie erkannt. Wir sind Menschen. Sie war es nicht. Ich erkannte sie. Sie war aus dem Geschlecht der Lurche und Riesen.« Als man neben ihm klagte: »Stöhnt. Schmerz her. Der Schmerz. Davon brauchen wir Eimer, Zentner jeden Tag. Für uns Menschen ist nur die Hölle gut. Wenn das Feuer nicht ist, werden wir zu Steinen. Nur die Hölle tut uns not. Der Schmerz ist unsere Seele, unser Gott.« Und leiser: »Wißt ihr, sie ist in das Feuer gegangen und war ein Stück von mir. Gesegnet, wer Erniedrigung gibt.«

    VENASKA, DIE süße, flüchtete nach Westen. Den Dampf und Verwesungsgasen der Krater von Lyon war sie entkommen. In Angst schleppte sie sich, allein. Sie weinte viel. Sie war das Glück der Entsetzten, zwischen denen sie sich bewegte und denen sie die braunen Hände gab. Wohin ging sie. Wohin wollte sie. Zu den Wesen Grönlands gehörte sie, hatte der Steile Absturz gesagt. Sie wollte hin zu ihnen, nach Grönland. Und dann kam sie im Westen unter die verzweifelten, oft kannibalischen hungrigen Völkermassen, die sich aus Orleans und Paris rissen. Von den Riesen sprachen sie, die sich in Cornwall versammelten. Zu den Riesen: das wollte sie. Ein bewußtlos tiefes Verlangen befiel sie, hüllte sie ein; sie lechzte zu den Riesen. Die hatte Hojet Sala geschmäht, die waren von ihrem Blut. Wie jäh das ihr gewiß war. Sie verstand nicht mehr das Klagen Heulen der Massen, das röchelnde Fluchen auf die tobsüchtigen Giganten. Ihre eigene Verzweiflung war wie die Nacht von einer Morgenröte ausgelöscht. Was ächzte und brüllte man. Wer kannte die Giganten, die fernen. Sie standen in Cornwall, gräßlich ihre Taten, grauenhaft ihre Leiber. Aber man kannte sie nicht. Nur sie allein kannte sie durch Taten und Leiber hindurch: ihr Blut, ihre Brüder.
    »Meine Brüder, meine geliebten Brüder« seufzte es Tag und Nacht in ihr. Die Landschaft der Loire blickte Venaska süß an: »Ich bin wieder da, liebe Bäche, liebe Birken, liebe Gräser. Ich habe euch lange nicht gesehen. Ich war verzaubert.« Sie legte sich nackt in einen Bach: »Liebes Wasser, das ist mein Leib. Er ist ganz für dich. Ich will nach Norden. Hilf mir herüber.« Sie stand blaß auf dem Bergabhang, ließ sich von der Luft trocknen: »Bist kalt, lieber Wind. Das ist mein Leib, meine Brust. Hilf mir nach England.« Das warme Licht kam hervor: »Ach die Sonne. Wozu hab’ ich Augen und Ohren. Ich fühle dich durch die Haut, auf dem Rücken, am Nacken, an den Füßen. Auf meiner Wanderung kommst du mit.«
    Sie fuhr mit Menschen, die sie berückte, lange Tage bis zu Seine hinauf. Dann wollte sie niemand mehr fahren; die Furcht vor den Riesen war zu groß. Sie lachte ging, war voll Sehnsucht: »Geht nur. Die Riesen sind nicht eure.« Die Ufer der Seine lief sie entlang, über Wiesen, durch Buschwerk. Sie war glücklich und voll Sehnsucht. Die Landschaft hing an ihr. Je rascher sie lief, um so mehr hielten die Wesen der Landschaft sie fest. Die Gräser wickelten sich um ihre Schuhe. Sie mußte die Schuhe ausziehen und barfuß laufen. Die Bäume stellten sich nachts, wenn sie schlief um sie und ließen sie nicht heraus. Sie lief, lief. Das Buschwerk, die Gräser liefen mit ihr. Die Kastanienbäume, die Linden, sommerlich blühend, wogten bei ihrer Annäherung auf. Duftwolken brunsteten sie aus, dann senkten sie ihre Wipfel, griffen mit den Ästen nach ihren Haaren. Sie kicherte, koste die Bäume: »Ach ihr! Ich muß nach Cornwall. Laßt meine Haare frei. Helft mir nach Cornwall; ich muß zu den Riesen, meinen Brüdern.« Das Meer kam nicht, das Meer kam nicht. Sie grämte sich, sie weinte. Die dichten Gräser
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