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Berge Meere und Giganten (German Edition)

Berge Meere und Giganten (German Edition)

Titel: Berge Meere und Giganten (German Edition)
Autoren: Alfred Döblin
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europäischen Arbeitskittel, beachteten oder erkannten ihn nicht, den Herrn ihres Werks. Das versetzte ihn in große Wut und hinderte ihn, wie er sich vorgesetzt hatte, weiter im Hintergrund hinter dem hohen Lehnstuhl des Vorsitzenden zu bleiben. Er stellte sich stampfend vor die beiden, die er anfaßte, denen er das Hemd über der Brust lüftete; ob sie wüßten wer er sei. Und dann, was sie zu dieser Zeit hier zu suchen hätten. Auf ihre ungläubige schüchterne Lache und die kichernde Bemerkung, er solle sich nach seinem Werk umsehen, – was hinge zum Beispiel jetzt auf dem Dache? Die Mulatten grinsten sich an und brüllten vor Spaß – griff er dem einen heiser an den Schlips auf dem Arbeitskittel, sie sollten sich ihrer Wege scheren. Da war er von dem starken Farbigen abgeschüttelt, lag am Boden. Im Nu auf den Beinen hing er sich dem Mann an den Hals, wurde mit einem Ruck an den Boden geschleudert, mit Fußstößen traktiert, von den anlaufenden Farbigen am Boden vor den Herren, die wegsahen, die Hände rangen, sich blaß auf die Lippen bissen, mit Riemen verwalkt. Die Riemen in der Hand, unflätig schimpfend, traten sie vor die Herren, denen niemand beistand; was sie nun dächten. Die erbaten sich nicht aufsehend Bedenkzeit, mußten auf das grobe Drohen der Farbigen das Zimmer räumen. Den halb besinnungslosen Carceri durften sie unter dem Gespött der Deputation, die sich auf den Senatssitzen, an den Sprechapparaten breit machte, aufheben. Ein fürchterlicher Stockhieb sauste noch über sie an der Türschwelle; der zerbrach dem grauen schweren Sanudo, der Carceri um die Hüfte führte, den Unterarm, so daß er den schwankenden Mann fallen ließ, den die Farbigen aus dem Zimmer rollten, um knallend die Tür hinter ihnen zuzuschlagen und ein prahlendes Fernsprechen in die Nachbarorte zu beginnen. Carceri kam in dem Erdgeschoßzimmer, in das sie sich auf einer Hintertreppe geflüchtet hatten, zur Besinnung. Er sah schrecklich aus; die Zähne waren ihm ausgeschlagen; er lallte, ein Zahn hatte seine Zunge durchbohrt; er lehnte luftschnappend mit fausthohen Stirnbeulen auf der Bank, spie Blut, schluckte einen Branntwein nach dem andern. Verfluchte sich innerlich, daß er sich für die anderen hergegeben hätte.
    Der alte Sanudo saß auf der Erde. Sie schnitten ihm den Ärmel auf; er weinte. Carceri stöhnte aus seinem verschwollenen Gesicht zu den anderen, die ihn hielten: »Tut ihr nur, was ihr wollt. Ich tue was ich werde.« Und dann, als sie flüsternd zu diskutieren anfingen, er steif zurückgelehnt: »Tut was ihr wollt. Was ihr wollt.« Sie berieten, während es in den Gängen hinter der verriegelten Tür von Liedern hallte, wohin man sich zurückziehen sollte, um das Weitere abzuwarten. Sowohl die jungen wie die älteren waren einig, daß die Revolte noch rascher als die früheren militärischen abklingen werde. Man zuckte mit den Achseln; sie dachten, wie sie sich bleich ansahen und an den Wänden zusammendrängten: einmal werde sie doch ihr Schicksal erreichen; es sei im Grunde viel, daß sie sich bis jetzt gehalten hätten. »Und was kommt nachher?« wimmerte Sanudo. »Wann?« Carceri riß hinten die Augen auf, sie quollen ihm zu. »Wenn wir nicht mehr sind. Sie sagen doch, es sei schon viel, wenn wir uns so lange halten. Also was ist dann? Was werden sie können? Wir werden ihnen alles übergeben, den Säufern. Und was werden sie daraus machen?« Carceri versuchte zu lächeln: »Ich kanns mir ausdenken. Wir werden dann auch noch ein paar Jahre leben, wofern sie uns nicht vorher zum Zeitvertreib totgeschlagen haben. Sie kehren vielleicht in ihrer Begeisterung wieder zu den heimatlichen Sitten zurück und fressen uns auf. Ich gratuliere euch allen zu dem warmen Wohnsitz, der euch bevorsteht. Neben Knoblauch und Sellerie und Branntwein.« Sie machten sich, als der Lärm draußen verklang, heimlich davon. Erreichten den Platz vor dem Ratsgebäude. Man erkannte sie nicht. Das Tosen auf den nahen Straßen war ein Gemisch von Freude kindlicher Gutmütigkeit Blutrünstigkeit. Der Aufruhr war noch nicht über ganz Mailand ausgedehnt, aber man schlug sich schon auf den Straßen um Rang und Beute. Man sah schon schlaue Europäer, die zu den Farbigen hielten, auf und daran, sich der Bewegung zu bemächtigen, in den überall gebildeten Konventikeln horchen, die klügsten der Redner beiseite ziehen, den und jenen mit sich vor die gebrüllerfüllten Ratszimmer führen.
    Ravano della Carceri erlebte eine feierliche,
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