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Bell ist der Nächste

Bell ist der Nächste

Titel: Bell ist der Nächste
Autoren: Harry Dolan
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Beerdigung, aber es warteten einige Vorbereitungen auf ihn.
    Er fuhr Richtung Süden durch die angenehme Junihitze und überquerte am Vormittag die Mackinac Bridge – rechter Hand lag der Lake Michigan, linker Hand der Lake Huron. Er fuhr weiter, zuerst bis Grayling, dann westlich nach Traverse City. In einem Geschäft für Sportbedarf kaufte er ein Remington-Jagdgewehr, einen Sucher und eine Schachtel mit Patronen.
    Am Nachmittag kehrte er nach Grayling zurück und nahm dann die Interstate 75 Richtung Norden. Als er auf eine Ausfahrt zufuhr, die so recht nirgendwo hinzuführen schien, verließ er die Interstate und fuhr weiter, bis er eine ungepflasterte Straße entdeckte, die ihn durch brachliegende Felder voller Gestrüpp und an einem ausgedienten Getreidesilo vorbeiführte.
    Fünf Kilometer hinter dem Silo fuhr er an den Rand des Feldwegs und holte das Gewehr aus dem Kofferraum. Er montierte den Sucher, lud das Magazin und schoss in eine zehn Meter vom Straßenrand entfernte Baumreihe. Der erste Schuss ließ die Rinde von einer kränklich wirkenden Esche abplatzen und schreckte zwei Krähen auf, die gen Himmel flogen – ein unbekümmertes Flattern schwarzer Flügel vor dem Blau des Himmels. Er machte noch ein paar Schüsse zur Übung, legte das Gewehr wieder in den Kofferraum und fuhr zur I-75 zurück.
    Am nächsten Tag tätigte er von seinem Hotelzimmer aus ein paar Anrufe und machte das Bestattungsinstitut ausfindig, das die Beerdigung von Charlie Dawtrey regelte. In der Saint- Joseph’s-Kirche in Sault Sainte Marie sollte eine Messe gelesen werden. Direkt danach würde die Beerdigung auf dem kleinen Friedhof stattfinden. Die Beerdigung war für den achten Juli anberaumt, es waren immer noch eineinhalb Wochen bis dahin. Aber er fühlte sich dadurch nur bestätigt. Die Familie brauchte Zeit, um dafür zu sorgen, dass Terry teilnehmen konnte.
    Die Tage vergingen langsam, aber das störte Lark nicht. Manchmal zappte er abends durch die Fernsehkanäle, und es gelang ihm wieder, die Frau mit dem erstaunlichen Lächeln zu finden. Er hatte den Ton leise gestellt und betrachtete sie nur, und seine Kopfschmerzen blieben fern.
    Wenn er sie nicht fand, las er. Er hatte ein paar Taschenbücher dabei – Romane von Dennis Lehane und Michael Connelly – und mehrere Ausgaben einer Krimizeitschrift namens Gray Streets .
    Er hatte ein Faible für Krimistorys, weil ihre Sprache eher schlicht und die Sätze einfach konstruiert waren. Die Wörter blieben auf der Seite stehen, auf der sie waren – und schienen nicht wie die Namen in seinem Notizbuch dahinzutreiben und zu atmen, was ihm Unbehagen bereitete.
    Es gab einen Fachbegriff für diese Störung, sein Arzt hatte ihm das lang und breit erklärt. Synästhesie . Eine Verwirrung der Sinne. Ein seltenes Leiden, das sich bei verschiedenen Menschen auch unterschiedlich zeigte. Manche hatten die Empfindung, dass Geräusche Farben erzeugten. Andere verbanden Stoffe mit Emotionen. In Larks Fall waren geschriebene Worte an Farbe und Bewegung geknüpft.
    Blumige Sprache neigte dazu, ihn nervös zu machen. Abschnitte aus Romanen des neunzehnten Jahrhunderts glühten womöglich wie heiße Kohlen oder wanden sich wie ein Haufen Schlangen. Er versuchte tatsächlich, nichts zu lesen, das vor dem Ersten Weltkrieg geschrieben worden war. Hemingway bildete eine gute Demarkationslinie. Hemingways Sätze waren in einem schönen Dunkelblau, und meistens standen sie regungslos da wie Weizenstängel an einem windstillen Tag.
    Romane aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren waren im Allgemeinen ungefährlich. Kurt Vonnegut schrieb eine angenehme blaugrüne Prosa, die sich geduldig bewegte, wie ein Fahrstuhl, der langsam nach oben ruckelte. Joseph Heller hingegen war eine ganz andere Geschichte. Hellers Figuren äußerten sich selten direkt und sagten irgendetwas. Stattdessen »schrien sie erregt«, »erklärten sie jubelnd« oder »flüsterten sie warnend«. All diese Adverbien machten es Lark unmöglich, Catch 22 zu lesen. Für Lark summten Adverbien wie Statik auf dem Fernsehbildschirm oder schwärmten aus wie Ameisen.
    Kriminalromane verursachten ihm selten irgendwelche Probleme. Ein witzelnder Erzählstil in der ersten Person floss beruhigend dahin, ein Strom kühler grüner Buchstaben. Und so füllten Krimis und Zeitungsberichte Larks Tage, während er auf die Beerdigung von Charlie Dawtrey wartete.
    Über Dawtreys Tod wurde in allen Zeitungen berichtet. Die ersten Berichte deuteten
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