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Beim ersten Sonnenstrahl (Teil 1) (German Edition)

Beim ersten Sonnenstrahl (Teil 1) (German Edition)

Titel: Beim ersten Sonnenstrahl (Teil 1) (German Edition)
Autoren: Inka Loreen Minden
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in Frieden. Sie haben doch, was Sie wollten!« Er riss Mutter und ihn zur Seite; ein rotes Rinnsal lief aus seinem Mund. Röchelnd schnappte er nach Luft. »Lauft!« Er konnte sich kaum auf den Beinen halten. Blut tropfte auf den Boden. Vater war am Bauch getroffen!
    Davids Beine waren schwer wie Blei und Mutter wimmerte. Sie stand mit dem Rücken zu Vater und hielt David im Arm. Dabei wisperte sie einen lateinischen Spruch, einen Schutzzauber, der allerdings nicht zu wirken schien. David spürte nichts. Mit bebender Stimme fiel er in den leisen Singsang ein.
    Der Vermummte schien zu überlegen, ob er rennen oder schießen sollte. Seine riesengroßen Augen waren abwechselnd auf Vater oder Mutter und ihn gerichtet, die Hand mit der Waffe zitterte.
    Schließlich hatte er geschossen. Erst auf Vater, dessen halbes Gesicht weggerissen wurde, danach auf Mutter. In den Rücken. Als sie stürzte, begrub sie David mitsamt den Stoffmassen ihres Kleides unter sich. Sämtliche Luft wurde aus seinen Lungen gepresst.
    »Mutter«, flüsterte er, doch sie bewegte sich nicht. Er konnte kaum Atem holen, schwarze Flecken tanzten vor seinen Augen. Und er hatte Angst. Große Angst.
    Seine Eltern – sie waren tot. Tot! Die Erkenntnis sickerte langsam in sein gelähmtes Gehirn.
    Sein Herz hämmerte, er japste nach Luft, roch Mutters dezentes Parfüm, spürte ihre Körperwärme. Sie rührte sich nicht, ihr Atem schlug nicht gegen seine Wange. Ihre halb geöffneten Augen starrten ihn an, als hätte sie ihn vor ihrem Tod noch ein letztes Mal sehen wollen.
    Ein Paar schwarzer Schuhe tauchte neben seinem Kopf auf und David spürte den Lauf der Waffe an seiner Stirn. Die Hand des Mörders zitterte stark. Sein Gesicht konnte er nicht erblicken.
    »Was seid ihr für Freaks?« Die Stimme klang schrill. »Steht ihr mit dem Teufel im Bunde?«
    Für einige Menschen waren sie gewiss Freaks, wie sie auf Jahrmärkten vorgeführt wurden. Bald aber nicht mehr. David hatte Angst vor einem qualvollen Tod, trotzdem fürchtete er ihn als solches nicht. Lediglich die Schmerzen. Er war schon immer neugierig gewesen, ob es danach irgendwie weiterging. Außerdem wollte er seinen Eltern nachfolgen, da er nicht wusste, wie er ohne sie weiterleben sollte.
    Er machte sich bereit, kniff die Lider zusammen, weinte und hoffte, dass Granny lebte. Was, wenn diese Kerle bereits bei ihnen im Haus gewesen waren?
    David verfluchte sein geringes Zaubertalent. Da er kein reinrassiger Magier war, besaß er keine ausgeprägten Fähigkeiten. Er hatte es immer wieder versucht, um ein so großartiger Mann wie sein Vater zu werden, es jedoch irgendwann nicht mehr so verbissen gesehen und sich auf die Naturwissenschaften gestürzt – ein weiteres Thema, bei dem er Vater tatsächlich nacheifern und stolz machen konnte. Er besuchte ein gewöhnliches College, aber alles, was er über Wissenschaft und die magische Welt wissen musste, lehrte ihn Vater.
    Plötzlich hörte David ein Fauchen. Er schlug die Augen auf; der vermummte Mann neben ihm wurde weggerissen. Einem Schrei folgte ein knackendes Geräusch, als würde Holz brechen. Mutters schwerer Körper wurde von ihm heruntergerollt, er selbst war starr vor Schreck. Eine Gestalt in einem Mantel beugte sich über ihn. David erkannte wegen der Dunkelheit zuerst nur dessen Silhouette.
    »Hab keine Angst«, sagte der Mann mit tiefer Stimme, die einem Knurren glich. Sein Gesicht kam näher und David atmete auf. Es war kein Mann, sondern ein Junge, etwa in seinem Alter. Nur mit seinem Aussehen stimmte etwas nicht. Oder spielte ihm seine Panik einen Streich? David glaubte, geschlitzte Pupillen zu erkennen und eine Hand mit Krallen. Der Junge hielt sie ihm hin. Als er erneut sprach und David das Raubtiergebiss sah, schrie er.
    Die Bilder flackerten, der Traum neigte sich dem Ende zu. Zum Glück.

    David hasste diesen Albtraum, den ihn auch nach all den Jahren regelmäßig heimsuchte. Er schrie immer noch und war froh über Grannys schlechtes Gehör. Sie wachte nicht meh r davon auf. Aber jemand war bei ihm und streichelte seinen Kopf. David hörte ein Wispern: »Hab keine Angst. Niemand wird dir je wieder etwas antun. Ich werde dich auf Ewig beschützen.«
    Die leise Stimme lullte ihn ein; er sank tiefer in den Dämmerzustand und erinnerte sich:
    Vor Angst war er fast ohnmächtig geworden. Das Wesen, das wie ein junger Mann ausgesehen hatte, mit verstrubbeltem Haar, kaum älter als er, packte ihn unter Knien und Armen. Es hob ihn hoch und
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