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Beim ersten Sonnenstrahl (Teil 1) (German Edition)

Beim ersten Sonnenstrahl (Teil 1) (German Edition)

Titel: Beim ersten Sonnenstrahl (Teil 1) (German Edition)
Autoren: Inka Loreen Minden
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bin ich verrückt. Man wird mich in eine Anstalt sperren. Dann möchte ich nicht mehr leben.«
    Er riss die Vorhänge zur Seite und mattes Licht drang in sein Zimmer. David wagte nicht, sich umzublicken. Was, wenn dort tatsächlich niemand war und er wirklich wahnsinnig wurde?
    Seine Knie schlackerten so stark, dass er es fast nicht schaffte, auf das Fensterbrett zu steigen. Mit zitternden Händen öffnete er die großen Scheiben und starrte zwei Stockwerke hinunter auf den schmalen Vorgarten. David war nicht schwindelfrei, aber im Halbdunkel wirkte die Höhe geringer.
    Seine Finger krallten sich in den Rahmen. Wo zur Hölle blieb dieser Gargoyle? War er vielleicht längst weg?
    Ein Passant eilte vorbei, bemerkte ihn dort oben jedoch nicht. Hinter einigen Fenstern brannte Licht, allerdings waren sie wegen der staubigen Sommerhitze, die in den Straßen hing, geschlossen. Die Anwohner öffneten über Nacht lediglich die Fenster, die nach hinten zeigten, in die Höfe und großen Gärten.
    »Wenn ich springe«, sagte er mit zitternder Stimme, »lande ich auf dem spitzen Metallzaun, dessen Streben meinen Körper durchbohren würden. Ein sicherer Tod.«
    David schaute nach oben, auf die Dächer der gegenüberliegenden Häuser. Für ein Wesen mit Schwingen und Krallen wäre es ein Leichtes, über die Dächer zu entschwinden. Gemeinsam mit David hatte das der Gargoyle bereits gemacht. Das hatte er sich gewiss nicht eingebildet!
    Er trat noch einen Schritt vor. Warmer Sommerwind strich um seine Beine und zerrte an den Hosen. David fühlte, dass er nicht allein war. Dieses Wesen war hier, beobachtete ihn. Dessen Blicke brannten in seinem Nacken.
    David rutschte weiter an die Kante, bis seine Schuhspitzen darüber ragten. Ihm wurde schwindlig, als er erneut nach unten sah. Die scharfkantigen Streben des Zauns schienen nach ihm zu greifen, ihn zu locken. Er brauchte sich nur fallen lassen und alles hätte ein Ende. Seine Finger krallten sich fester in den Rahme n, doch da nn ließ er ihn los.
    Hier ist jemand. Ich bin nicht verrückt, bin nicht verrückt, bin nicht verrückt! Leicht geriet er ins Wanken. Hilfe, was machte er nur? Er würde tatsächlich fallen!
    Der Abgrund drehte sich, ihm wurde schwindlig. Hektisch versuchte er nach dem Fensterrahmen zu fassen – sein Griff ging ins Leere.
    Plötzlich riss ihn jemand zurück ins Zimmer. Er fiel nach hinten, landete aber nicht hart, sondern lag auf jemandem! Davids Herz raste, als er auf die Hand starrte, die sich gegen seine Brust presste. Die Finger waren lang und schlank, bloß an statt Fingernägeln besaßen sie kurze Klauen. Der Arm war nackt und nur spärlich behaart.
    David lag da wie erstarrt. Er fühlte die Hitze der anderen Gestalt an seinem Rücken, vernahm die keuchenden Atemzüge der Kreatur in seinem Haar. Das Wesen musste seinen Herzschlag spüren, ebenso wie sich David einbildete, dass dessen Herz gegen seinen Nacken ratterte.
    Er war nicht verrückt!
    »Bitte hab keine Angst«, flüsterte die Gestalt an seinem Ohr.
    »Ich habe keine Angst«, erwidert e David erleichtert, obwohl seine Stimme zitterte. Er konnte es kaum glauben. Endlich, nach so vielen Jahren, würde er seinen Schutzengel sehen.
    Zögerlich berührte er die Hand, die sich an seine Brust drückte. Die Haut war warm und fühlte sich nicht anders an als bei ihm. Der Unterarm war fest, schlank und sehnig. Eine beinahe gewöhnliche Männerhand, wären die Krallen nicht gewesen, die allerdings keinen bedrohlichen Eindruck auf ihn machten. Der Gargoyle hatte sie eingezogen, um ihn nicht zu verletzen. Wie dicke, verhornte Fingernägel sahen sie aus.
    David drehte den Kopf zur Seite. Er war zu gespannt, wer ihn hielt. Er fürchtete sich, doch die Neugier überwog.
    »Nein!« Die Stimme klang panisch und ein leichtes Grollen schwang darin mit. »Dreh dich nicht um!«
    »Warum?« Hastig ergriff er das Handgelenk des Wesens, weil er spürte, dass es sich von ihm lösen wollte. Aber solange David auf ihm lag, würde ihm das nicht gelingen, oder? Wie stark war ein Gargoyle?
    »Ich will di ch nicht erschrecken«, wisperte das Wesen.
    »Das werde ich nicht.« David hatte in seiner Fantasie die hässlichsten und bösartigsten Figuren erschaffen. Konnte die Realität da mithalten? Außerdem hatte er den Gargoyle bereits zwei Mal gesehen. An dem Tag, als seine Eltern starben, und in der Kirche. Er wirkte keineswegs furchteinflößend – im Gegenteil. Bei der Erinnerung an sein erschrockenes Gesicht spürte David
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