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Beim ersten Sonnenstrahl (Teil 1) (German Edition)

Beim ersten Sonnenstrahl (Teil 1) (German Edition)

Titel: Beim ersten Sonnenstrahl (Teil 1) (German Edition)
Autoren: Inka Loreen Minden
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dunkel! Großmutter trug ihr Nachthemd und hielt eine Lampe in der Hand, in der eine Kerze flackerte. Wie jeden Abend war sie vor dem Zubettgehen gekommen, um seine Vorhänge zuzuziehen.
    »Es ist fast zehn Uhr, David.«
    Verdammt , fluchte er innerlich. Er hatte verschlafen! Sofort sprang er auf. Er hatte den Sonnenuntergang verpasst.
    Granny stand vor seinem Bett und lächelte ihn an. »Wirst du deine Lady besuchen?«
    »Ich habe keine … vielleicht«, sagte er und erneut schoss Hitze in sein Gesicht. Sollte Granny glauben, er treffe sich mit einer Frau. Dann würde sie ihn nicht wieder für bes essen halten. Seit der Sache mit dem Wassereimer hatte er seinen heimlichen Retter nicht mehr angesprochen. Warum war Granny damals nur so böse auf ihn gewesen?
    »Wer ist sie?«, fragte seine Großmutter.
    David ging zum Fenster und nahm das Buch seines Vaters an sich, das er in einer Schublade des Sekretärs verschwinden ließ. Granny brauchte es nicht zu sehen. Das würde nur Fragen aufwerfen. »Was?«
    »Deine Lady. Kenne ich sie?«
    Er schüttelte den Kopf. Woher sollte seine Großmutter eine Frau kennen, die er kannte. David hatte keine Frauenbekanntschaften, obwohl er bei seinen Spaziergängen durch den Park schon oft bemerkt hatte, wie junge Damen ihn anlächelten. Er hatte stets höflich zurückgenickt; zu mehr war es nie gekommen. Noch nie hatte er eine Frau berührt, geschweige denn geküsst! Sah Granny ihm nicht an, wie grün er hinter den Ohren war?
    »Es würde mich sehr glücklich machen, zu wissen, dass du versorgt bist, bevor ich sterbe.«
    David wirbelte herum. »Sag so was nicht!«
    Lächelnd zuckte sie mit den schmalen Schultern. »Meine Zeit ist bald gekommen, da kann kein Zauber etwas gegen ausrichten.« Sie drehte sich um und verließ sein Zimmer.
    David eilte ihr hinterher. »Warte, ich bringe dich nach oben!« Bestimmt war sie wieder zu stur, den Aufzug zu nehmen.
    Sie hakte sich bei ihm unter und gemeinsam stiegen sie die platzsparende Holzwendeltreppe ins oberste Stockwerk, wo Granny ihr eigenes Reich hatte. Normalerweise schliefen die Bediensteten unter dem D ach, aber Da vid wollte niemand anderen im Haus haben. Ein Mädchen holte jeden Morgen ihre Schmutzwäsche ab und Tante Abigail, die in der Nähe wohnte und ebenfalls Witwe war, besuchte Großmutter täglich, um ihr unter die Arme zu greifen. Tante Abigail war zehn Jahre jünger und sehr rüstig. Sie ging immer noch auf die Magierversammlungen und hielt David und Granny auf dem Laufenden.
    Einmal in der Woche kamen zwei andere Frauen, die das Haus saubermachten. Es war ein winziges, aber fe ines Stadthaus, das Vater damals gekauft hatte, als David geboren wurde. Im untersten Stockwerk gab es eine große Küche, ein Ess-und ein Musikzimmer, in der Mutters altes Pianoforte stand. In der ersten Etage befanden sich der Salon, der überwiegend von Granny und Tante Abigail benutzt wurde, sowie zwei weitere Aufenthaltsräume.
    Im zweiten Stock hatte David sein Reich. Er bewohnte das ehemalige Schlafzimmer seiner Eltern, dem sich ein Ankleideraum und ein Badezimmer anschloss. Alles war renoviert und modernisiert und sobald es die Technik zuließ, würde es elektrisches Licht in jedem Raum geben. Die Leitungen dazu hatte er bereits verlegen lassen. Im früheren Zimmer seiner Mutter hatte David eine Bibliothek eingerichtet. Bücher waren seine Welt. Dort verbrachte er seine Zeit, falls er nicht schrieb oder im Park spazieren ging. Eigentlich war sein Leben einsam, aber er fühlte sich nicht einsam.
    Oder doch?
    Seine Protagonisten begleiteten ihn fast ständig, sprachen mit ihm und erzählten ihm ihre Geschichten. Falls sie schwiegen, dachte David an den Überfall, als er die Arme um den Gargoyle geschlungen hatte und der ihn an seine nackte Brust gedrückt hatte. Diese warme, glatte Brust war ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen.
    Sie betraten Grannys Flur, der mit rosa Tapeten verkleidet war. Ein dicker Teppichboden dämpfte ihre Schritte. Antike Vasen standen in jeder Ecke. Großmutter hatte eine Vorliebe für die griechische Kultur.
    Vor ihrer Tür gab er ihr einen Kuss auf die Wange. »Gute Nacht, Granny.«
    »Gute Nacht, mein Junge.« Sie zwinkerte ihm zu und verschwand in ihrem Zimmer.
    Vater hatte ihm erzählt, dass Großmutter früher eine begehrte Partie gewesen war, der viele Männer den Hof gemacht hatten. Aber sie hatte nur Gregor geliebt, der viel zu bald an einer Lungenkrankheit gestorben war. David hatte seinen Großvater nie
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