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Bei Rotlicht Mord

Bei Rotlicht Mord

Titel: Bei Rotlicht Mord
Autoren: Léo Malet
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habe, will sie bald zurückfahren. Und das in ihrem
Zustand!“
    Kaum hatte meine Sekretärin den Satz
beendet, da wurde die Bibliothekstür zugeknallt. Angela rannte verstört an uns
vorbei, ohne uns anzusehen, und flüchtete in ihr Zimmer. Hélène ging ihr nach.
Ich lief zum Telefon und rief die Vier Pinien an. Der Anruf hatte nur
von dort kommen können. Ich verlangte Madame Alderton zu sprechen. Ein
Dienstmädchen teilte mir mit, Madame Alderton sei am späten Morgen verstorben.
Wer am Apparat sei, bitte? Ohne zu antworten, legte ich auf.
     
    * * *
     
    „Ich weiß, daß es nicht stimmt“, sagte
Angela, als wir kurz darauf unter vier Augen miteinander sprachen.
    Sie war etwas ruhiger, aber ihre
Stimme klang verändert. „Das sagt man so in solchen Fällen: Zustand
verschlechtert, aber nicht hoffnungslos, kommen Sie bitte sofort! ... Die
üblichen Phrasen.“
    Man hatte ihr offenbar die bittere
Pille versüßt.
    „Madame Alderton ist bestimmt schon
tot“, fuhr sie achselzuckend fort. „Man will es nur vor mir verbergen. So ein
Blödsinn! Ich werd’s sowieso erfahren...“
    Erschöpft fuhr sie sich mit der Hand
über die Augen. Dann sah sie mich an.
    „Ich möchte... morgen... fliegen... nach
Cannes.“
    „Wer hält Sie davon ab?“ fragte ich
rhetorisch. „Sie stehen nicht unter Hausarrest.“
    Schweigen senkte sich über uns. Ein
langes Schweigen. „Was ich Ihnen noch sagen wollte...“ brachte sie schließlich
hervor, „mit dem Schmuck... Machen Sie damit, was Sie wollen.“
    „Das werde ich, Angela.“
    Ich stand auf und ging zum Fenster, um
zum Eiffelturm hinüberzusehen, der von der Sonne vergoldet wurde.
    „Ich bin der Meinung, diese Juwelen
haben schon genug Opfer gefordert. Was hätte die Reliance davon, wenn ich
den Betrug an die große Glocke hängen würde? Jetzt, da Madame Alderton... Ich
meine, sie ist zu krank, als daß die Justiz sie belangen könnte... Letztlich
würde es nur ein zusätzliches Opfer geben: Sie, Angela! Es würde Ihnen weh tun,
wenn der Name der Frau, die Ihre Wohltäterin war und bleibt, in den Schmutz
gezogen würde. Machen Sie sich keine Sorgen, Sie können ganz beruhigt ans
Krankenbett von Madame Alderton eilen. In ein paar Tagen werde ich ein Päckchen
machen, es gut verschnüren und in die Seine werfen.“
    Ich spürte, wie sie hinter mich trat.
    „Danke“, hauchte sie, „wegen Madame
Alderton... Wissen Sie, das Ganze war eine Sache zwischen Madame Alderton und
Dubaille... Sie hat’s mir vor einigen Monaten gebeichtet. Ich war damals nicht
eingeweiht... wußte von nichts...“
    „Daran zweifle ich nicht.“
    „Sie... Ich wollte Ihnen auch noch
sagen... möchte Sie fragen... wegen neulich... Warum habe ich nicht
geschossen?“
    „Das nennen Sie ,nicht geschossen’?“
lachte ich. „Fragen Sie mal Vivonnet...“
    „Erwähnen Sie dieses Schwein nicht!
Den habe ich nicht gemeint!“
    Sie stellte sich neben mich und sprach
zu meinem Spiegelbild im Fensterglas.
    „Warum habe ich nicht auf Sie
geschossen?“
    „Das wissen Sie doch.“
    „Ja, ich weiß es. Und Sie auch.“
    „Schon möglich. Nur, sehen Sie... Es
ist eben schlecht gelaufen, Angela.“
    „Ja, irgend etwas stand von Anfang an
zwischen uns, nicht wahr?“
    „Ja, der Schmuck. Er hat uns dazu
gezwungen, nicht ehrlich miteinander umzugehen, sondern falsch. Wie die
Juwelen!“
    „Ich finde das sehr traurig“, sagte
sie, ohne auf meinen kleinen Scherz einzugehen. „Dieses verfluchte Zeug, dieses
widerliche bunte Glas! Ich wüßte gerne... Sagen Sie mir, warum habe ich nicht
geschossen?“
    „Weil das nichts geändert hätte.“
    „Aber auf den anderen habe ich geschossen!“
    „Stimmt! Und geändert hat das auch
nichts. Das Problem bleibt das gleiche. Für uns.“
    „Dann gibt es also keine Lösung?“
    „Nein, es gibt keine Lösung.“
    „Vielleicht... später...“
    „Ich weiß es nicht.“
    „Schade, daß es schlecht für uns
gelaufen ist, wie Sie sagen, von Anfang an“, flüsterte sie. „Seltsam. Wir reden
über ein Problem, denken jeder an ein anderes, und die Worte sind dieselben...“
    Als sie zu mir sagte: „Gehen Sie
jetzt“, konnte ich sie kaum verstehen.
    Am nächsten Tag verließ Angela Charpentier
Paris, um an der Beerdigung der ehrenwerten Barbara Alderton teilzunehmen.
„Vielleicht... später…“ hatte sie gesagt.
    Ich habe sie nie mehr wiedergesehen.

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