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Beginenfeuer

Beginenfeuer

Titel: Beginenfeuer
Autoren: Marie Christen
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fand. »Nach Brügge?« Berthe lachte freudlos auf und unterbrach die Erinnerungen ihrer Herrin. »Wie stellt Ihr Euch das vor? So wie es aussieht, können wir nicht einmal die Burg verlassen.«
    »Es gibt einen Weg.«
    Es dauerte eine Weile, bis Berthes schwerfälliger Geist diese ungeheuerliche Nachricht verarbeitet hatte. »Einen Weg aus dieser Burg?«
    »Schwöre, dass ihr euch nach Brügge rettet. Schwör es mir bei deiner Seligkeit, dann sage ich dir, wo du den Geheimgang zur alten Mühle findest.«
    Die ungleichen Frauen maßen einander mit misstrauischen Blicken. Berthe entdeckte in den bläulichen Schatten unter den tief eingesunkenen Augen ihrer Herrin die ersten Anzeichen des Todes. Margarete von Courtenay sah eine Frau, die ihre Jugend und ihre Träume hinter sich hatte. Ihre Augen waren glanzlos, dennoch glomm in der Ergebenheit ihres Blickes ein Funke Hoffnung auf.
    »Ein Geheimgang?« Berthe runzelte die Stirn. »Wo soll der sein?«
    »Violante wird dich führen. Deinen Schwur, Berthe.«
    »Ich würd es ja gern tun, aber wie sollen wir nach Brügge kommen?« Berthe wusste kaum, wovor sie mehr Angst hatte, vor dem Tod in der brennenden Burg oder vor einem solchen Abenteuer. »Es ist Sommer, du brauchst nur den Handelsstraßen zu folgen.« Margarete von Courtenay streckte ihr eine zitternde Hand entgegen. »Hinter der Pforte des Geheimgangs ist eine Nische, dort habe ich für diesen Fall einen Beutel mit Kleidern und Münzen versteckt. Es ist nicht viel, aber es wird euch helfen. Dein Wort darauf, dass du es tust, Berthe.« Etwas im Blick ihrer Herrin zwang Berthe, die Hand zu ergreifen und stumm zu nicken. Dann löste sie die Verbindung so hastig, als habe sie sich daran verbrannt. »Der Himmel wird es dir danken«, flüsterte die Sterbende und hob die Stimme. »Violante, Ysée, kommt näher.« Die Kinder sahen vorsichtig aus ihrem Versteck am Fenster. Zögernd kamen sie heraus und traten gemeinsam an das Kopfende des Bettes, die Finger miteinander verschränkt. Es schien, als gäbe ihnen die Berührung Kraft, all die verstörenden Ereignisse dieses Tages zu erdulden. Violantes Lippen bebten, Tränen standen in ihren weit aufgerissenen Augen. »Was ist mit meinem Bruder?«
    »Gott wird sich um ihn kümmern, mein Kind. Du musst jetzt tapfer und klug sein. Du musst mit Berthe und Ysée gehen.« Margarete von Courtenay sammelte die letzten Atemzüge für diesen Abschied. Für Erklärungen war keine Zeit, nur das Nötigste konnte sie noch sagen. »Zeig Berthe den Geheimgang hinter der Wandtafel der Mutter Gottes. Du weißt, welchen Stein du drehen musst, um ihn zu öffnen. Und nun geh, der Himmel behüte dich, meine geliebte Tochter.«
    »Ich will bei dir bleiben, Mutter…« Violante, sonst ein Muster an Gehorsam und Fügsamkeit, erwachte unerwartet zu trotzigem Widerspruch.
    »Das ist nicht möglich, mein Herz. Geht, sonst ist es zu spät.« Berthe packte Violantes Arm und zerrte das Mädchen gewaltsam aus der Kammer. Da Violante ihrerseits Ysée nicht freigab, musste sie ihre ganze Kraft aufbieten, die widerstrebenden Freundinnen von der Sterbenden zu trennen. Sie warf noch einen letzten Blick auf ihre Herrin und sah voll Erstaunen, dass ein Lächeln um ihren Mund spielte. Das farblose Antlitz trug einen Abglanz jener Schönheit, die in Dole das Begehren Thomas von Courtenays geweckt hatte. Margarete sah dem Tod ins Auge, und sie tat es glücklich.
    »Still, keinen Laut!« Berthes Angst übertrug sich auf die Mädchen. Ysée legte beschützend den Arm um die jüngere Violante und nickte für beide.
    Die Magd huschte mit den Kindern zur Treppe und von dort in die große Halle hinab. Wo es sonst nach Küchendünsten, Hunden, Bier und Waffenfett gerochen hatte, lag jetzt ein Übelkeit erregender Gestank in der Luft. Der metallisch ätzende Geruch von geronnenem Blut mischte sich mit dem von siedendem Öl und menschlichen Ausscheidungen. Anfangs hatte man die Verwundeten von den Wällen noch in die große Halle gebracht. Inzwischen fand niemand mehr Zeit, sich um die Männer zu kümmern, die stöhnend und schreiend auf dem Stroh lagen, das die Steinquadrate des Bodens bedeckte. Berthe spürte Ysées und Violantes Entsetzen, aber sie zog sie mit aller Kraft in Richtung Küche weiter.
    In dem Gewölbe mit der mächtigen Feuerstelle, das sonst vor Menschen und Leben nur so wimmelte, trafen sie lediglich auf eine Katze, die sich an dem Gerstenbrei gütlich tat, der von der Morgenmahlzeit des Gesindes noch auf
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