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Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schlafen alle. Bis auf einen Inder.« Bettina setzte sich auf den Klappsitz und strich die kurzen, mittelblonden Haare aus der Stirn. »Der Mann macht mich nervös.«
    »Ein Inder?« Andresen lachte. »Das ist was Neues. Inder sind sonst geborene Gentlemen. Was hat er getan, Süßerli? Dir in den Popo gekniffen?«
    »Du bist unmöglich, Paul.« Chefpilot Pohlmann korrigierte die Flugbahn. Andresen verzog das Gesicht. Der steife Werner, dachte er. Wo andere lachen, säuft er Essig. Und dabei hat er, wenn man's glauben darf, drei Kinder zu Hause in Hamburg. Es wird ein ewiges Rätsel bleiben, wie er das fertiggebracht hat bei seiner Sturheit.
    »Also nicht Popo«, lachte Andresen. »Was sonst?«
    »Er sagt, ich solle beten.«
    »O Himmel! Ist er von 'ner Sekte?«
    »Er sagt, heute sei der 19. Mai, und wir liegen auf der Handfläche des Schicksals.«
    »Ein lieber kleiner Somnambule! Der Mann hat schlecht geträumt. Zuviel gegessen, voller Magen, keine Verdauung. Ich kenne das. Du, da habe ich einmal geträumt, ich liege auf einer Wiese, habe nichts an, gar nichts, verdammt, schlafe ein, und da kommt doch eine Kuh über die Wiese und …«
    »Halt endlich den Mund!« sagte Chefpilot Pohlmann hart. Er drehte sich nach Bettina um, die wie ein verschüchtertes Hündchen auf dem Klappsitz hockte, die gefalteten Hände im Schoß. In ihren Augen erkannte er die leise Angst, die sie in sich bezwang und nicht wahrhaben wollte. »Was hat er noch gesagt, der Inder?«
    »Wir entgingen dem Schicksal nicht.«
    »Sag ich doch … keine Verdauung!« rief Andresen.
    »Kümmere dich um die Flugeinweisung!« Chefpilot Pohlmann erhob sich von seinem Sitz und legte den Arm um Bettina. Er spürte, wie sie zitterte, und nickte ihr ermutigend zu. »Ich werde mich mit dem Knaben mal unterhalten«, sagte er. »Ich habe da schon die tollsten Dinge erlebt. Bleib solange bei Paul, Betti. Und wenn er schweinigelt, hau ihm eine runter!«
    Werner Pohlmann kam bis zur eisernen Tür der Kanzel, da geschah es.
    Nur ein Schlag war es, ein helles Krachen, das den Motorenlärm übertönte. Die Maschine schüttelte sich wie ein Hund, der aus dem Wasser kommt. Die Metallwände schienen zu singen, sekundenlang nur, mit einer hellen, durchdringenden Falsettstimme; wie ein Frieren war es, das über den langen stählernen Leib glitt. Und wenn es möglich gewesen wäre – das Flugzeug hätte eine Gänsehaut bekommen. Dann war alles wieder vorbei, die Motoren brummten, das Flugzeug lag gerade in der Luft, die Düsen arbeiteten normal … nur die Instrumente versagten: Alle Zeiger, mit Ausnahme des verrückten Barometers, klappten auf Null, das Licht verlosch, um sie herum war es so finster wie draußen in der stürmischen, tobenden Nacht. Und nun, in der völligen Dunkelheit, sahen sie auch das zuckende Leuchten über und unter ihnen, die phosphoreszierenden Streifen, die aufblitzten und wieder verlöschten.
    »O Scheiße!« sagte Andresen in die Dunkelheit hinein. Man hörte ihn hantieren und an Hebeln knacken. »Die gesamte innerelektrische Anlage ist im Eimer! Das war ein Blitzschlag, Werner! Die Funkanlage ist stumm! Und auch das Notaggregat hat's erwischt. Betti, mein Süßes, du mußt deinen Gästen klarmachen, daß es zum Frühstück nur Saft gibt.«
    Werner Pohlmann stand vor den dunklen, toten Armaturen und hatte die Lippen zusammengepreßt. Auch der Radarschirm war ausgefallen. Der zuckende, glitzernde Finger war weg. Richtungslos, ohne Orientierung in der Nacht, flog die große Maschine durch die Gewitterfront.
    »Was nun?« fragte Bettina leise hinter ihm. »Was passiert nun, Werner?«
    Andresen tastete sich näher. »Radar auch weg!« stellte er fest. »O verfluchter Mist! Jetzt schwimmen wir in den Wolken wie ein Paddelboot im Ozean! Willst du runter, Werner?«
    Pohlmann schüttelte den Kopf und setzte sich wieder in seinen Pilotensessel. Er nahm das Steuer in beide Hände und starrte hinaus in die zuckenden Blitze. »Ich gehe auf Höhe«, sagte er gepreßt, und schwenkte ab nach Nordosten. »Ich muß nach Gefühl fliegen. Wohin wir auch kommen, das ist gleichgültig. Sobald es hell wird, kann ich auf Sicht gehen. Ob Elbrus oder Kaukasus oder Wüste – irgendwo wird eine Landung möglich sein! Nur in der Nacht nicht! Bettina …«
    »Werner …?« Ihre Stimme klang ganz klein, fast kindlich.
    »Sieh nach, ob die Passagiere was gemerkt haben. Beruhige sie. Paul wird unterdessen versuchen, die elektrische Anlage in Gang zu bringen.«
    »Du Optimist!
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