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Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Wenn ein Blitz dir den Hintern aufreißt, hilft kein Chirurg mehr! Aber versuchen wir es.«
    Mit etwas steifen Beinen verließ Bettina die Kanzel und betrat den langen Passagierraum.
    Niemand hatte den Blitzschlag bemerkt. Die dreiundvierzig Reisenden schliefen. Nur der Inder ganz hinten machte sich bemerkbar, als Bettina an ihm vorbeiging. Durch den Stromausfall war auch seine Leselampe erloschen.
    »Haben Sie Angst, Miß Bettina?« fragte er leise.
    »Nein, Sir. Warum? Ein kleiner plötzlicher Stromausfall. Er ist gleich repariert …«
    »Ich weiß.« Bettina wußte, daß der Inder jetzt wieder lächelte. Sein Gesicht lag in der Schwärze der Dunkelheit. »Es ist gut, daß Sie keine Angst haben. Die ängstlichen Menschen sterben schrecklich. Dabei ist Sterben so leicht.«
    Bettina wandte sich ab und rannte in ihre Koje. Und plötzlich hatte sie Angst, wahnsinnige Angst. Sie faltete die Hände und lehnte den Kopf an die glatte Kunststoffwand der eingebauten Küche.
    Mutter, dachte sie. O Mutter, wenn mir etwas passiert. Immer warst du dagegen, daß ich Stewardeß werde, und bei jedem Absturz irgendwo in der Welt hast du mich angefleht, wegzugehen und einen anderen Beruf anzunehmen.
    Ist es nun soweit? Ist das unser letzter Flug? Stürzen wir ab? Zerbrechen wir irgendwo dort unten bei einer Notlandung? Zerschellen wir an einem Felsen, der plötzlich vor uns auftaucht aus der Nacht?
    O Mutter! Ich habe Angst!
    Sie wurde auf ihrem Stuhl zurückgedrückt, schwankte und klammerte sich an der Tischkante fest.
    Chefpilot Pohlmann zog die Maschine steil nach oben. In achttausend Meter Höhe durchbrach er das Gewitter, und plötzlich war ein Sternenhimmel über ihnen, so ruhig und herrlich, daß sich Ergriffenheit wie ein Ring um das zuckende Herz legte.
    Wir fliegen in den Himmel, dachte Bettina. Noch einmal sehen wir die Wunder Gottes, und dann … dann …
    Der 19. Mai.
    Wie sagte der geheimnisvolle Inder: Man kann seinem Schicksal nicht davonrennen. Es läuft einem nach.
    *
    Wladimir Mironowitsch Bubnow saß in seinem Radarkontrollturm und kaute Sonnenblumenkerne. Ein langweiliger Dienst war's, so herumzusitzen, auf die flimmernden Radarfinger zu sehen und zu kontrollieren, wer da in der nächtlichen Luft herumschwirrte und die Nachtruhe des guten, sanften Bubnow belästigte. Er hatte eine Liste der anfliegenden Verkehrsmaschinen vor sich, war über ein Sprechfunkgerät und sechs Telefone mit allen anderen Kontrollstellen verbunden, vor allem mit der Flugleitung- mit diesen vornehmen Genossen, die nur das Allernötigste sprachen und so taten, als sei der liebe Bubnow ein Stückchen vertrockneter Mist.
    Dabei ist Radar das Wichtigste auf einem Flugplatz. Was wäre der ganze Flugbetrieb von Tiflis, wenn es Wladimir Mironowitsch nicht gäbe, ich bitte! Über den Schirm mit dem kreisenden Geisterfinger geht einfach alles, was in der Luft ist. Nichts bleibt ihm verborgen, und keiner kann sagen, das stimmt nicht, ich war um diese Zeit nicht am Himmel … Wladimir Mironowitsch zeigte auf sein Berichtsbuch und ließ das besprochene Tonband ablaufen und sagte: »Brüderchen, lüg nicht wie ein Fischweib; du warst um 17.19 Uhr in der Luft!« Das kam allerdings nur bei den Sportfliegern vor, wenn sie den normalen Flugverkehr störten und in die Flugschneisen kamen. Das wurde streng bestraft, und es war immer Bubnow, der als wichtigster Zeuge auftreten mußte. Sie haben also gar keinen Grund, die weißhemdigen Genossen von der Flugleitung, die Nase so hoch zu halten, als umgebe den guten Bubnow ständig der Geruch eines entleerten Darmes.
    In dieser Nacht also, am 19. Mai gegen 4 Uhr morgens, saß Wladimir Mironowitsch in seinem Kontrollturm, spuckte die Sonnenblumenschalen gegen die Wand und meldete auf Tonband und an die Kontrollstelle I, daß alles in Ordnung sei, der Himmel sei frei, jenseits des Kaukasus, zwischen dem Iran und der Türkei, herrschte ein ganz mistiges Gewitter, und im übrigen sei es toll, daß Spartak Moskau im Fußball gegen Partisan Kasan 2:0 gewonnen habe. Die ersten Frühnachrichten hätten das Ergebnis gebracht.
    Um 4.10 Uhr wurde es jedoch im Kontrollturm bei dem guten Bubnow lebendig. Auf dem Radarschirm zeigte sich ein Punkt, der nicht dorthin gehörte. Es war ein konstanter Punkt, der schnell näher kam und der gut zu bestimmen war.
    Ein Flugzeug.
    Wladimir Mironowitsch überflog die Flugpläne vor sich auf dem Tisch. Die erste Maschine startete von Tiflis um 4.30 Uhr, die erste landende Maschine aus
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