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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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zurück und so waren die ehemaligen Grunbacher Nazis alle wieder da. Und der Herr Caspar kam ebenfalls zurück und wir haben alle die bange Frage gestellt: Was wird er machen, wenn er es erfährt und wenn er den Jungen sieht? Frau König hat mir später erzählt, dass er wie angewurzelt dagestanden habe, als er in der Küche den Kleinen gesehen hat. Der kleine Richard hatte sein Spielhöschen an, das noch von Sigrid stammte und das ihm viel zu klein war. In der Hand hielt er eine von Sigrids Puppen, zum Spielen hatte er doch nichts anderes. Er sah diesen unbekannten Mann ganz neugierig an und hat auch keine Angst gehabt, obwohl der Caspar damals zum Fürchten aussah. Bleich und ausgemergelt stand er da in seiner abgerissenen Kleidung. ›Wer ist denn das?‹, hat er gefragt und die Frau König hat es ihm so gut es ging erklärt. ›Blut und Wasser hab ich geschwitzt, Fräulein Haag‹, hat sie mir später erzählt, ›Blut und Wasser! Und der Kleine hat ihn immer angeguckt und er hat das Kind angeschaut. So ein halbes Negerkind da in seiner Küche, und das gehört jetzt zur Familie, das ist schon ein schwerer Schlag für ihn, hab ich gedacht.‹ Aber dann sei etwas ganz Merkwürdiges passiert, fast hätte sie der Schlag getroffen. Der Caspar sei auf den Kleinen zugegangen und habe ihn auf den Arm genommen. Und das Kind schlang die Ärmchen um seinen Hals und lachte ganz laut. Ich hab’s nicht glauben wollen, als sie mir’s erzählt hat. Und die meisten Grunbacher haben es erst auch nicht geglaubt. Das war ungefähr so, als wenn mir jemand gesagt hätte, die Enz fließt jetzt den Berg hinauf. Aber es war so, der Richard Caspar hat dieses Kind abgöttisch geliebt, sein Leben lang!«

47
     
    Es ist Annas letzter Abend in Grunbach und sie sind wieder in Gretls Wohnzimmer beisammen. Fritz ist jetzt auch dabei, mit ihm und Gretl, die sie in die Mitte genommen haben, sitzt Anna auf dem Sofa. Ganz selbstverständlich sitzt sie dort. Sie gehört dazu! Richard hat einige Fotos von den dreien gemacht, als »weiteres historisches Dokument«, wie er sagt. Vorhin beim Essen haben sie laut und angeregt darüber diskutiert, von welcher Art ihre Verwandtschaftsbeziehungen sind. »Was bist du eigentlich als Enkelkind meines Großonkels?«, hat Fritz gefragt. »So etwas wie eine Großkusine oder gar eine Tante zweiten Grades?«
    Nur Blödsinn hat er geredet und Anna hat ihn ein paarmal scherzhaft in die Seite geboxt. »Nichts von alledem«, hat Richard gemeint, »Christine und Anna sind Kusinen zweiten Grades. Eure Blutsverwandtschaft ist also nicht so eng, dass bestimmten Beziehungen irgendetwas im Wege stehen würde.« Dabei hat er spitzbübisch zu Anna und Fritz herübergeblinzelt und Anna ist ganz rot geworden. Wie peinlich!, hat sie gedacht, aber gleichzeitig hat sie sich gefreut. Jetzt hab ich eine Familie, eine richtige Familie! Menschen, die ich mag und die mich scheinbar auch ein bisschen mögen ...
    Beim Spülen in der Küche, als sie mit Christine für kurze Zeit allein gewesen ist, hat sie noch einmal nach Friedrich und Anna, ihrer Großmutter, gefragt. Gretl scheint nicht gerne darüber zu reden und vielleicht weiß Christine noch etwas von Emma. Bestimmt haben sie öfter davon gesprochen.
    »Ob sich die beiden geliebt haben?«, hat Christine Annas Frage nachdenklich wiederholt. »Schwer zu sagen. Man müsste wahrscheinlich als Erstes eine philosophische Betrachtung darüber anstellen, was Liebe überhaupt ist, wie mein lieber Mann jetzt sicher sagen würde. Aber dann wären wir auch nicht klüger. Meine Großmutter hat immer gemeint, dass bei Anna sicher Rache im Spiel war. Rache an ihren Eltern, die sie für Georgs Tod mitverantwortlich gemacht hat. Mit dieser Beziehung konnte sie ihre Eltern sehr verletzen, und das hat sie sicher gewusst. Bestimmt hat auch eine Rolle gespielt, dass Friedrich ihr ein ganz anderes Leben bieten konnte. An Wochenenden Fahrten nach Baden-Baden, ins Elsass, luxuriöse Hotels, erlesenes Essen, teure Kleider ... Das sind Hungerjahre gewesen damals, als deine Großmutter ein junges Mädchen war, und auch schon vorher waren die Verhältnisse bei Helmbrechts eher ärmlich. Du hast das Häuschen doch gesehen. Und dann Friedrich – ein immer noch attraktiver Mann, einer, der etwas darstellte. Das Sägewerk hat kurz nach Kriegsende seinen Betrieb wieder aufgenommen, mit Genehmigung der französischen Militärbehörde, mit der er sich im Übrigen sehr gut stellte. Oh, er schwamm immer oben, mein
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