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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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Großonkel Friedrich. Machte wieder gute Geschäfte. Vergiss nicht, nach ’47 gab es die Marshall-Plan-Hilfe, es wurde überall gebaut, die Nachfrage war riesig. Anfang der fünfziger Jahre ging es noch einmal richtig bergauf mit dem Sägewerk Dederer. Das war für ein junges Mädchen sicher alles sehr beeindruckend. Und er wollte sie heiraten, deine Großmutter, das weiß ich sicher!«
    »Und woher?«, hat Anna gefragt. Johannes hat das nämlich auch geschrieben. Friedrich wollte Anna heiraten. Das ist ein wichtiger Punkt für sie gewesen, irgendwie ist ihr das wichtig.
    »Von Emma. Als sie Ende 1948 aus der Schweiz zurückkam, hatte es gerade richtig angefangen mit den beiden. Sie war so aufgebracht deswegen, dass sie nicht mehr in der Villa wohnen wollte, sondern in das alte Dederer-Haus, unser jetziges Haus, gezogen ist. ›Wie kannst du ihnen das antun?‹, hat sie ihren Bruder immer wieder gefragt.«
    Christine hat dann eine Weile gezögert und die Schüssel, die sie gerade abtrocknete, wie ein heidnisches Opfergefäß vor die Brust gehalten. »Und da hat er einmal etwas gesagt, was mich lange sehr beschäftig hat. Jetzt, wo ich älter geworden bin, kann ich es verstehen: ›Sie ist mein neues Leben‹, hat er zu Emma gesagt. ›Mein Erstes habe ich verpfuscht. Nicht im geschäftlichen, im finanziellen Sinn, da bin ich ohne Zweifel erfolgreich gewesen. Aber alles andere habe ich verhunzt. Und jetzt fange ich noch einmal mit ihr, Anna, an.‹ Typisch Friedrich, könnte man dazu sagen.«
    Anna ist für einen Moment richtig wütend geworden. Als ob man ein Leben umtauschen könnte. Oder sich ein neues kaufen, wie einen Anzug oder ein Paar Schuhe. Ein neues Leben, und dazu brauchte er eine Kopie von Marie!
    Als ob sie ihre Gedanken hätte lesen können, hat Christine noch hinzugefügt, dass sie Nachsicht mit Friedrich haben soll. »Er wollte das, wonach wir alle suchen und streben: Liebe, Glück, das richtige Leben. Und mit deiner Großmutter glaubte er es endlich zu finden. Das ist ein schöner Gedanke – trotz allem.«
    Daran muss Anna jetzt denken, als sie Richard und Christine beobachtet, die gemeinsam mit Fritz schon eifrig Pläne schmieden, was sie im Sommer alles mit ihr unternehmen wollen. Denn dass sie nach Grunbach zurückkommt, hat sie ihnen versprochen. Wie liebevoll sie miteinander umgehen!, denkt sie. Das fällt ihr immer wieder auf. Sie überlegt noch einmal, was Christine zu ihr gesagt hat: »Ein schöner Gedanke – trotz allem.«
    So kann man es sehen – aber für Johannes und Marie war es sicher schlimm. Er schreibt, dass er lange nichts gemerkt hat. »Ganz Grunbach hat es gewusst und darüber geredet. Nur Marie und ich, wir sind blind gewesen. Wir hätten es doch merken müssen! Die vielen neuen Kleider, das teure Parfum – angeblich günstige Angebote aus dem ›Merkur‹. Die vielen Wochenendfahrten – angeblich Ausflüge mit Freundinnen. Wahrscheinlich wollten wir es nicht sehen. Wir wollten, dass sie glücklich ist, unser einziges Kind. Und glücklich war sie.«
    Sie weiß auch aus Johannes’ Aufzeichnungen, dass Friedrich fieberhaft seine Scheidung von Lisbeth vorangetrieben hatte, vor allem als Anna schwanger wurde. Er hatte ihr angeboten, eine Wohnung für sie zu mieten, aber das wollte sie nicht. »So eine« sei sie nicht, und sie bleibe bei ihren Eltern, bis er sie heiraten konnte, ob mit »dickem Bauch« oder dem Kind auf dem Arm. Sicherlich fiel ihr dieser Entschluss auch leichter, weil Johannes und Marie ihr keine Vorwürfe machten. »Was hätte das auch genutzt?«, hat Johannes geschrieben. »Wir wollten sie nicht verlieren, nicht auch noch Anna! Marie hat allerdings gelitten, mehr als ich, und sie hatte böse Vorahnungen. Sie sagte immer wieder, dass auf einer solchen Verbindung kein Segen ruhe. ›Da liegen zu viele Schatten darüber‹, hat sie gemeint. Ich habe sie zu trösten versucht und ihre Ängste als Aberglauben abgetan, aber in Wahrheit habe ich mich ebenfalls gefürchtet. Friedrich Weckerlin wird mein Schwiegersohn! Das war doch mehr als ein schlechter Witz.«
    Die Scheidung hatte sich immer wieder verzögert. Lisbeth machte Schwierigkeiten, obwohl damals schon todkrank, hatte sie noch genügend Kraft, Friedrich mit Hilfe ihrer Anwälte alle möglichen Steine in den Weg zu legen. Und es ging um das Sägewerk und sehr viel Geld. Das war ihre Rache! Dann kam 1950 die Nachricht, dass sich Louis-Friedrich an der Riviera erschossen habe. »Spielschulden«, hat Johannes
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