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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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lakonisch geschrieben. »Angeblich studierte er, in Wirklichkeit trieb er sich jedoch in der Weltgeschichte herum und verprasste das Geld seiner Eltern.«
    Nach seiner Rückkehr aus der Schweiz sei das Verhältnis zwischen Vater und Sohn sehr gespannt gewesen, berichtete Johannes weiter und auch, dass der Junge wahrscheinlich so die Aufmerksamkeit des Vaters auf sich ziehen wollte. Aber Friedrich war es egal gewesen. Er wollte sein neues Leben beginnen, also tat er das, was das Nächstliegende war, er zahlte, er wollte sich freikaufen von Louis-Friedrich und seinen Ansprüchen. Und je mehr Geld er gab, desto mehr brauchte der Sohn, trug es in Spielcasinos, spielte, verspielte es, forderte mehr und der Vater zahlte. Eines Tages setzte sich Louis-Friedrich auf eine Bank vor dem Casino in Monte Carlo. Es war kurz vor Sonnenaufgang, er zog eine kleine Pistole aus dem Besitz seines Vaters aus der Tasche und schoss sich in den Kopf. Das war die letzte und wohl härteste Bestrafung des Vaters, der ihm die Liebe und Anerkennung verweigert hatte. Lisbeth, die an diesem Schicksalsschlag endgültig zerbrach, willigte jetzt in die Scheidung ein, aber so kurz nach dem Tod des Sohnes wollte Friedrich nicht heiraten. Sollte das Kind eben vor der Hochzeit kommen.
    An einem grauen Novembertag im Jahr 1950 brachte Anna ihre Tochter zur Welt, die sie in einem Anflug von schlechtem Gewissen Marie nannte. Einige Stunden nach der Geburt war sie tot gewesen! Verblutet war sie. Überall war Blut, ungeheure Mengen Blut und Anna hatte mit wächsernem Gesicht auf dem Bett gelegen. Sie hatte gelächelt, war gestorben mit der Gewissheit, dass jetzt ihr Leben mit Friedrich beginnen konnte.
    Anna ist jetzt auch klar, wo Marie das Geld herhatte, das Geld für das Studium, die Wohnung, sogar das Geld, von dem jetzt noch etwas auf ihrem Konto liegt. Friedrich hatte für seine Tochter gesorgt und diesmal hatte Johannes die Unterstützung angenommen. Das sei im Sinne seiner Tochter, hatte er gemeint. Richard hat ihr berichtet, dass Marie eigentlich noch viel mehr erben sollte. »Das halbe Sägewerk wollte er auf sie überschreiben, die andere Hälfte sollten Emma und Aurelie bekommen. Aber nach Annas Tod war Friedrich nicht mehr der Alte. Er reiste viel, kümmerte sich nicht mehr ums Geschäft, überließ alles meinem Vater, den er erstaunlicherweise wieder eingestellt und sogar als Prokuristen eingesetzt hatte. Der hatte allerdings nicht den Weitblick und die Kraft, notwendige Neuerungen durchzusetzen. Holz wurde als Baustoff zunehmend uninteressant, dringend erforderliche Modernisierungen und Rationalisierungen unterblieben und dann kam auch noch die Rezession 1963. Kurz gesagt, zwei Jahre vor seinem Tod war Friedrich bankrott. Er ist noch so hellsichtig gewesen, das Dederer-Haus und die Villa auf Emma überschreiben zu lassen, aber das Sägewerk musste sie schließen, gerade noch rechtzeitig, sonst hätte sie die Ansprüche der Gläubiger nicht mehr befriedigen können. Sie hat die Grundstücke verkauft, die Wälder, bis auf die Gemarkung Katzenbuckel, und dann blieb nichts mehr übrig!«
    Also ist alles umsonst gewesen für Friedrich, hat Anna unwillkürlich gedacht. Alles war weg, was ihm wichtig gewesen ist. Wie viel hat er davon noch mitbekommen? Ist ihm das wahre Ausmaß seines Niedergangs überhaupt bewusst gewesen?
    Richard konnte diese Frage nicht genau beantworten. »Als sich der Konkurs 1964 abzeichnete, hatte er kurz vorher seinen ersten Schlaganfall erlitten. Er hat sich zwar wieder recht gut erholt, aber mein Vater hat immer gemeint, dass ihm alles egal gewesen sei. Ich habe mich einige Male mit ihm unterhalten, wenn ich in den Semesterferien im Sägewerk gearbeitet habe. Er kam manchmal vorbei, ein freundlicher älterer Herr, der sich gerne mit den Leuten unterhielt. Er redete mit seinen Arbeitern, fragte nach ihren Kindern und ihren Plänen für den Urlaub, aber was im Betrieb los war, schien ihm herzlich gleichgültig zu sein. Ich hatte den Eindruck, dass er mich gern mochte. Er hat mit mir viel über die Vergangenheit geredet. Zwei Sachen sind mir noch gut in Erinnerung. Friedrich hat immer wieder vom alten Dederer, seinem Schwiegervater, angefangen und dabei auch geheimnisvoll von einem Fluch gesprochen. Ich habe das nie richtig verstanden. Und einmal hat er zu mir gesagt, dass er uns beneidet, meinen Vater und mich, obwohl unsere Situation damals nicht sehr angenehm war. Meine Mutter war zunehmend seltsamer geworden. Sie lebte
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