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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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Gruppe Marokkaner eine Frau brutal vergewaltigt. Am nächsten Morgen musste sie ihr Mann im Leiterwagen zum Doktor fahren, weil sie nicht mehr gehen konnte! Und so erging es in den ersten Nächten auch noch vielen anderen Frauen. Am Nachmittag sind wir dann hochgerannt zu Johannes und Marie, die waren auch schon in großer Sorge wegen Anna. Sie war am Morgen von Soldaten belästigt worden und einige seien ihr auch gefolgt, um herauszufinden, wo sie wohnt. Johannes hat uns dann am Abend im Keller versteckt, hinter die leeren Kartoffelkisten mussten wir kriechen und dann hat er Säcke über uns ausgebreitet. ›Keinen Mucks!‹, hat er befohlen. Er selbst saß oben in der Küche, alle Vorhänge waren zugezogen, aber das Licht brannte. Er hatte sich mit einer alten Schrotflinte bewaffnet, die er nicht abgegeben hatte, Marie war deshalb ganz aufgelöst gewesen, aber er hatte sich nicht darum geschert. Einen Schutzbrief vom Maier Oskar hatte er sich noch besorgt und an die Tür gehängt. ›Vielleicht hält das die verdammten Kerle ab‹, hat er noch gemeint, aber sehr überzeugt hat er nicht geklungen. Vergewaltigungen waren eigentlich verboten, und zumindest einige französische Offiziere haben später darauf geachtet, dass sich die Soldaten nicht allzu schlimm aufführten.
    Wir lagen also da und haben kaum zu atmen gewagt. Selbst meine Mutter hatte Angst, obwohl sie doch schon eine ältere Frau war. Aber in der Nähe von Grunbach hatten sie beim Einmarsch sogar einer Achtzigjährigen Gewalt angetan. Und dann kamen sie. Erst hörte man Schritte, leise, schleichende Schritte, nur die Steine auf dem Weg knirschten, und dann hörten wir, wie sie vorsichtig zum Haus kamen. Wie viele es waren, kann ich gar nicht sagen. Wir hörten sie flüstern, verstanden haben wir natürlich nichts, wir konnten ja kein Französisch, und dann wurde es plötzlich ruhig. ›Sie gehen zur Haustür‹, hat Anna gezischt. Hoffentlich dreht sie nicht durch, hab ich noch gedacht. Plötzlich hörten wir von oben Lärm. Flaschen fielen um, Gläser klirrten und Johannes begann laut zu lachen und dann sang er grölend ein Lied, das er damals drüben in Frankreich gelernt hatte. Den Text weiß ich nicht, aber an die Melodie kann ich mich noch gut erinnern.«
    Gretl summt ein paar Takte und Anna erkennt sofort, um welches Lied es sich handelt – schließlich hat sie fast sieben Jahre Französischunterricht gehabt. »Auprès de ma blonde«, heißt es. Ein Lied, das die französischen Soldaten im Ersten Weltkrieg oft gesungen haben. Eigentlich ein schönes Lied, denkt sie. Aber in der Situation ...
    »Und dann?«, fragt sie gespannt. »Warum hat er das gemacht? So ausführlich hat Johannes nicht darüber geschrieben.«
    »Erst hab ich gedacht, er ist verrückt geworden. Aber dann haben wir gehört, wie sie Fersengeld gegeben haben, sie sind einfach schnell die Straße hinuntergerannt! Nach einer Weile hat uns Johannes dann geholt. ›Sie sind weg‹, hat er gesagt. ›Und sie kommen hoffentlich auch nicht wieder.‹ Sie haben wohl gedacht, Franzosen seien hier einquartiert, vielleicht sogar Offiziere, und haben deshalb Angst bekommen. War ein schlauer Kopf, dein Urgroßvater.«
    »Und wenn’s nicht funktioniert hätte?«
    Gretl schaut sie an und in ihren Augen liegt noch jetzt etwas vom Grauen jener Nacht. »Daran wollte ich nie denken und will es jetzt auch nicht. Weißt du, es ist ein bitterer Gedanke, dass jemand anderer für uns bezahlen musste. Die Soldaten sind in eines der Wirtshäuser gegangen und haben aus lauter Wut und Enttäuschung krakeelt und Alkohol getrunken. Spät in der Nacht sind sie dann durchs Dorf gezogen, zu den Häusern, die etwas außerhalb lagen. In ein ganz spezielles Haus sind sie dann eingebrochen, eines, in dem nur noch ein alter Mann, eine Frau und ein junges Mädchen wohnten. Du weißt schon, welches Haus ich meine?«
    Anna nickt beklommen.
    »Es war bloßer Zufall. Der Caspar hatte sich in den letzten Kriegstagen freiwillig zum Volkssturm gemeldet und ist nach Stuttgart gekommen. Dort haben ihn die Franzosen gefangen genommen, erst 1948 ist er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen worden. Jedenfalls sind die Soldaten in das Haus eingedrungen, haben sofort den alten Mann in den Keller gesperrt und Frau Caspar vergewaltigt – jeder von denen und nicht nur einmal.« Gretl ringt sichtlich um Fassung.
    »Und die Tochter?«
    »Die hat sich geistesgegenwärtig im Kleiderschrank versteckt. Ist erst am nächsten Morgen total
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