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Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!

Titel: Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!
Autoren: Rainer M. Schroeder
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nachgab.
    »Kannst du uns nicht ein bisschen Licht machen und ein Streichholz anreißen, Pa?«, fragte Becky bittend ins Dunkle. Das ekelhafte Brummen von Schmeißfliegen und das helle Sirren von Stechmücken, die sich in das Treppenhaus verirrt hatten, umgaben sie. Sie wedelte mit der freien Hand vor ihrem Gesicht, um das zudringliche Getier abzuwehren.
    »So eine Vergeudung kommt gar nicht infrage!«, beschied er sie. »Und nun trödel nicht so herum. Du tust ja so, als wärst du hier noch nie die Treppe hinuntergestiegen!«
    Becky wollte am liebsten erwidern, dass die Mutter zumindest einige brennende Kienspäne mitnahm, wenn sie so schwer bepackt die Treppe hinunterstiegen, hielt es aber für klüger, das für sich zu behalten. Sie tastete mit der rechten Hand nach dem Geländer, hielt mit der linken den Hemdensack auf ihrer Schulter in der Balance und stieg die Treppe hinunter. Sie war dankbar dafür, dass sie ein gutes Gedächtnis besaß und sich die Stellen gemerkt hatte, wo sie besonders aufpassen musste. Dennoch atmete sie erleichtert auf, als sie die unterste Treppe bezwungen hatte, ohne einmal gestolpert zu sein, und Augenblicke später auf die knöcheltief mit Unrat übersäte Straße hinaustrat, wo das Sonnenlicht sie im ersten Moment blendete.
    Der Vater begleitete sie die überwiegend von deutschen und irischen Einwanderern bewohnte Mulberry Street bis zur Ecke Park Street hinunter, dachte jedoch nicht daran, ihr beim Tragen zu helfen.
    Kurz hinter der Straßenecke blieb er stehen. »Sofort wenn du die Hemden abgeliefert und das Geld erhalten hast, kommst du zurück!«, schärfte er ihr ein. »Ich warte hier auf dich!« Er wies auf den schmuddeligen Kellerladen, der wenige Schritte hinter der Kreuzung auf der Park Street lag. Slocum’s Grocery stand auf dem verschmierten Ladenschild, das am Ende der kurzen Kellertreppe über dem Eingang hing. Aber der feiste Joe Slocum verkaufte nicht nur Lebensmittel und allerlei Haushaltswaren, sondern hatte wie jeder andere geschäftstüchtige Kaufmann dieses Viertels auch eine Branntwein-, Gin- und Biertheke in seinem Geschäft. Und dort würde der Vater nun die ersten Gläser Bier heben, während er auf das Geld wartete, das sie ihm brachte. »Und wehe du trödelst herum! Hast du mich verstanden?«
    Becky mied seinen Blick, nickte wortlos, rückte den schwerer werdenden Sack auf ihrer Schulter zurecht und machte sich auf den Weg zu Eleanor und Homer Greeley, damit ihr Vater den Lohn von fünf Tagen harter Arbeit in den unzähligen Tavernen von Five Points versaufen konnte.

4
    D AS berüchtigte Viertel Five Points auf der East Side von Lower Manhattan lag nur zwei Häuserblocks von der Prachtmeile am Broadway und einen kurzen Spaziergang vom Rathaus entfernt und gehörte zum 6. Stadtbezirk. Es verdankte seinen Namen der ungewöhnlichen fünfeckigen Kreuzung in seinem Zentrum. Wie spitz zulaufende Keile zielten die Ecken der vier Häuserblocks auf die Kreuzung im Zentrum des Viertels, die von den drei Straßen Park, Worth und Baxter Street sowie vom östlichen Ende der Mission Place gebildet wurde.
    Keine andere Gegend in der Stadt war ärmer, dichter bevölkert und verrufener als das Viertel rund um Five Points. Und nirgendwo in New York konzentrierten sich alle nur erdenklichen Laster und Verbrechen stärker als hier - einmal die berüchtigte Water Street am East River ausgenommen, wo die Flusspiraten regierten. Wer in die tiefsten menschlichen Abgründe hinuntersteigen und die abstoßendsten Seiten des Menschen kennen lernen wollte - in diesen lärmenden, stinkenden und dreckstarrenden Straßenzügen und Gassen fand er, wonach er suchte, darunter käufliche Mörder, Erpresser und Schläger, Hehler und Einbrecher sowie Mädchen und Frauen jeden Alters für jede Art der Prostitution.
    Legendär war auch die Zahl der Hurenhäuser, Tavernen, Grog Shops und finsteren Schankstuben, die alle Straßen und Gassen von Five Points wie hässliche Pockennarben zeichneten. Allein auf der Mulberry Street gab es mehr als zwei Dutzend Spelunken, war doch der Alkohol die billige und allzeit verfügbare Droge, in die sich viele Männer, Frauen und sogar Kinder vor der bedrückenden Armut ihres Alltags flüchteten, sooft sie nur konnten. Dass der Alkohol ihren Sturz in noch größeres Elend nur beschleunigte, wollte keiner von ihnen wahrhaben - oder es wurde von denjenigen, die schon alle Hoffnung aufgegeben hatten, als unabänderliches Schicksal hingenommen.
    Aber wenn sich auch
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