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Baustelle Demokratie

Baustelle Demokratie

Titel: Baustelle Demokratie
Autoren: Serge Embacher
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von Menschen zu nivellieren: Alle Menschen sind frei und gleich geboren, und wenn man diesen einfachen Satz erst einmal akzeptiert hat, gibt es unter modernen Bedingungen schlichtweg keine Gründe mehr, warum es noch Privilegien für bestimmte Gruppen geben sollte. Weder politische Herrschaft noch wirtschaftliche Macht oder religiöse Autorität dürfen Privilegien für sich beanspruchen, weil es dafür unter modernen Bedingungen keine Gründe mehr gibt. Politische Herrschaft bezieht ihre Legitimation eben nicht – wie in vormodernen Gesellschaften – aus höherer Autorität, sondern verdankt sie demokratischen Wahlen, die wiederum an Recht und Gesetz gebunden sind. Die Akteure müssen ihr Handeln vor den Augen einer kritischen Öffentlichkeit begründen . Sie haben auf Zeit den Status von »Ersten unter Gleichen«, doch daraus leiten sich keine Privilegien ab. Dienstwagen und -telefone, Diäten und Aufwandspauschalen sollen den demokratisch legitimierten Funktionsträgern Unabhängigkeit bei ihrer Arbeit ermöglichen. Sie sind keine Privilegien, auch wenn sie oft als solche wahrgenommen und von den Protagonisten auch so genutzt werden, wovon zahlreiche Dienstwagen- und Flugmeilenaffären zeugen. Wirtschaftliche Macht begründet ebenfalls keine Privilegien, wenngleich sich auch hier viele Akteure so benehmen, als stünde es ihnen zu, etwa »steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten« in Anspruch zu nehmen. Zwar lässt sich mit (viel) Geld zumindest die materielle Welt nach eigenen Wünschen gestalten, doch Vorzugsrechte im Sinne bevorzugter rechtlicher Behandlung lassen sich daraus nicht ableiten. Schließlich darf sich auch religiöse Autorität nicht der Illusion hingeben, aus »göttlicher Eingebung« oder gar »göttlicher Legitimation« ließen sich Privilegien und Vorrechte ableiten. Zwar darf sich jeder Religions- oder Sektenführer von seinen Gläubigen und Anhängern wie ein Popstar feiern und bewundern lassen. Doch ändert dies nichts an dem Umstand, dass die Religion unter modernen Bedingungen zur Privatsache jedes Einzelnen geworden ist. Er ist frei zu glauben, er muss es aber nicht. Er ist frei in der Anerkennung religiöser Autorität, aber er ist auch frei in seiner Ablehnung. Kirchen und Religionsgemeinschaften befinden sich im selben egalitären Rechtskosmos wie alle anderen Gruppen auch. Kurz: Alle Versuche, aus politischer Macht, materiellem Besitz oder metaphysischer Spiritualität Privilegien begründen zu wollen, müssen letztlich am Gleichheitsgebot der modernen Welt scheitern.
    Wo es um die Einrichtung und Gestaltung eines demokratischen Gemeinwesens geht, darf es also keine Vorrechte und Privilegien mehr geben, egal wie ungerecht und ungleich die je aktuelle Lage auch sein mag. Dieser simple und leicht nachvollziehbare Zusammenhang ist es, der Autokraten verjagt und (willkürliche) Gewalt in (demokratische) Macht verwandelt. Ohne ihn gäbe es kein Argument gegen Korruption und Vorteilsnahme. Das Verhalten von Spitzenpolitikern, die sich Privilegien verschaffen, können wir nur deshalb als illegitim bewerten, weil das »demokratische Princip« trotz aller Enttäuschung und trotz allem Vertrauensverlust fest in unseren Köpfen verankert ist. Zwar kann man sich ihm gegenüber zynisch verhalten, aber mit Gründen zurückweisen lässt es sich nicht.
    Das ist das Faszinierende an der Demokratie: Sie ist eine egalitäre Maschine, die auf Dauer alle Privilegien zersetzt, wenn Menschen sich auf demokratische Rechte berufen. Daher ist sie auch aufs Engste mit Gerechtigkeit und Transparenz verknüpft. Menschen, die dennoch Privilegien genießen (weil Demokratie auch bei uns noch nicht vollends verwirklicht ist), können ihre Vorrechte gegen den demokratischen Malstrom nur schützen, wenn sie ihnen den Anschein von Legitimität geben. Steuervorteile, Subventionen und privilegierter Zugang zu Entscheidungsgremien und -trägern lassen sich nur so lange aufrechterhalten, bis in öffentlichen Debatten solche Geltungsansprüche dementiert und – zumindest bei anhaltendem Druck engagierter Gruppen aus der Bürgergesellschaft – egalisiert werden. Das ist der Mechanismus, mit dem sich die Demokratie im Laufe der Zeit in immer mehr Lebensbereiche vorgearbeitet hat – sei es die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Anerkennung und Entkriminalisierung von Homosexualität oder auch die Einführung des allgemeinen Wahlrechts zuungunsten des Mehrklassenwahlrechts. Der Demokratie ist eine letztlich
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