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Baustelle Demokratie

Baustelle Demokratie

Titel: Baustelle Demokratie
Autoren: Serge Embacher
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unwiderstehliche Tendenz der Egalisierung von Privilegien und Vorrechten zu eigen, was erst in jüngster Zeit beim Sturz von Diktatoren in der arabischen Welt wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt wurde.
    Mitbestimmung und Partizipation sind der Idee von Demokratie unauflöslich eingeschrieben (zu Partizipation vgl. grundlegend und ausführlich Roth 2011). Das ist auch der tiefere Grund, warum man das spezifisch demokratiepolitische Element des bürgerschaftlichen Engagements in der Engagementpolitik ernst nehmen muss. Im gesellschaftlichen Engagement artikuliert sich – oft ohne explizite Formulierung – der »Geist« der Demokratie als ein egalitäres Projekt, das auf Mitbestimmung und demokratische Teilhabe zielt. Allerdings zeigt die Erfahrung gerade der letzten Jahre, dass Demokratisierung ein empfindlicher Prozess voller Rückschläge und Wirrungen ist. Sowohl im staatlich-administrativen Bereich als auch in der Wirtschaft gibt es weiterhin Bereiche, die der demokratischen Mitbestimmung entzogen bleiben oder ihr aufs Neue entzogen werden.
    So existieren auch heute noch viele Inseln der Intransparenz von Prozessen und Entscheidungen: Trotz der gesetzlich festgeschriebenen betrieblichen Mitbestimmung werden viele Entscheidungen in der Wirtschaft, die für das Schicksal mitunter tausender Beschäftigter verantwortlich sind, hinter verschlossenen Türen getroffen. Und trotz des Rechtsstaats- und Demokratiegebots sind auch im Bereich der staatlichen Politik viele Prozesse beziehungsweise Entscheidungen intransparent und öffentlich nur schwer nachvollziehbar. Über einige Kapriolen der Ministerialbürokratie wurde schon berichtet, wenngleich es auch hier Fortschritte gab: Mittlerweile gelten im Bund und in einigen Ländern »Informationsfreiheitsgesetze«, die jedem Einzelnen das Recht einräumen, »Verwaltungsvorgänge« und Akten der öffentlichen Hand einzusehen. Die neue Rechtslage kehrt dabei die Beweislast um: Musste früher der Antragsteller begründen, warum er in staatliche Akten Einsicht nehmen will, ist es heute die Pflicht der Verwaltung, eine Verweigerung der Akteneinsicht zu begründen. Doch finden gewiefte Akteure in Politik und Verwaltung nach wie vor Mittel und Wege, Informationen über brisante Vorgänge unter Verschluss zu halten.
    Genau hier setzt das Thema Bürgerbeteiligung an. Es ist ein wichtiges »Unterthema« der Bürgergesellschaftsdebatte, denn hier zeigt sich ihre demokratiepolitische Bedeutung besonders deutlich. Menschen wollen sich nicht nur für das Gemeinwesen engagieren, sie wollen auch über seine Gestaltung mitbestimmen. In letzter Zeit hat die Diskussion um Bürgerbeteiligung stark an Fahrt aufgenommen, was Konflikten wie dem um »Stuttgart 21« zu verdanken ist. Am Beispiel Stuttgart lässt sich die Debatte geradezu schulbuchartig nachvollziehen. Denn das ganze Debakel, das schließlich die schwarz-gelbe Landesregierung zu Fall brachte, ist »altem Denken« geschuldet: Intransparente Entscheidungen in informellen Gremien ließen den zum bloßen Publikum degradierten Bürgerinnen und Bürgern keine Möglichkeit, vor Beginn der Planungen das Ob eines Bahnhofsneubaus in Stuttgart zu diskutieren. Die offiziellen Akteure – also die Deutsche Bahn, die Bundesregierung, die Landesregierung Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart – haben sich auch zu einem Zeitpunkt, als der öffentliche Protest schon sehr lautstark geworden war, noch auf formale Argumente zurückgezogen und gebetsmühlenartig darauf verwiesen, dass das Planungsverfahren für »Stuttgart 21« formal und juristisch korrekt abgelaufen sei. Alle Fristen zur Eingabe von Einwänden seien eingehalten worden, sowohl der Bundestag als auch der baden-württembergische Landtag und das Stuttgarter Stadtparlament hätten sich in demokratischen Abstimmungen für das Projekt entschieden.
    Diese Darstellung ist nicht falsch, sie ist aber auch nicht vollständig. Denn wenn man sich die jahrzehntelange Vorgeschichte von »Stuttgart 21« ansieht, stellt man fest, dass es zwar öffentliche Diskussionen und auch zahlreiche »Bürgerinformationen« gegeben hat. Doch was von Anfang an fehlte, war eine Einbeziehung des Bürger willens in die Planung: Meinungsaustausch ja, Mitbestimmung nein! Bereits 1997 sammelten engagierte Bürger 67.000 Unterschriften zur Durchführung eines Bürgerentscheids. Dieser wurde vom Stuttgarter Oberbürgermeister abgelehnt. Der Unmut über ungenaue Kostenkalkulationen und intransparente
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