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Bauernopfer

Bauernopfer

Titel: Bauernopfer
Autoren: Thomas Peter
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vergessen. Und der Fahndungstrupp? Den Kollegen war wohl die Chance auf die Festnahme eines Kiffers am Autobahnrastplatz lieber gewesen, als stundenlang und am Ende vielleicht ohne zählbares Ergebnis auf eine Wohnungstür zu starren.
    Mit steinerner Miene hörte Frau Berthold die Erklärung, es gebe Hinweise, dass sie etwas mit dem Tod des Josef Bichler zu tun habe. Alles Weitere wolle man ihr auf der Dienststelle erläutern. Die Sekretärin musste schlucken. Kurz sah es so aus, als würde sie protestieren, dann besann sie sich, rief eine der Damen aus der Buchhaltung, teilte ihr mit, dass sie die Herrschaften von der Polizei begleiten müsse, und übergab ihr die Geschäfte sowie den Tresorschlüssel.
     
    »Sieht gar nicht aus wie eine Mörderin«, stellte Helmuth fest. Frau Berthold war adrett gekleidet wie immer. Sie trug einen schwarzen Rock und eine rote Bluse mit einer langen Perlenkette. Steif und aufrecht saß sie am Tisch im Vernehmungszimmer. Die Unterarme hatte sie auf dem Tisch aufgelegt und die Finger ineinander verzahnt. Nur gelegentlich strich sie sich mit einer grazilen Bewegung eine widerspenstige Strähne hinters Ohr. Ansonsten harrte sie bewegungslos der Dinge, die da auf sie zukommen würden.
    Auch Frau Gambrini-Steinmetz war zur KPI gekommen, um bei der Befragung dabei zu sein. Sie war bewaffnet mit Block und Kugelschreiber, bat aber Charly, die Vernehmung zu führen, da er die größere Erfahrung habe.
    »Frau Berthold, Sie waren beim Bichler am Hof«, begann Charly. »Das da«, er hob den Plastikbeutel hoch, »ist doch Ihr Schal. Das wird zwar eine DNA-Analyse noch beweisen, aber ich bin mir trotzdem sicher.«
    Er machte eine Pause und sah die Sekretärin an. Nur die Augen bewegten sich in ihrem kreidebleichen Gesicht, als sie den Schal fixierte. Aber sie schwieg.
    »Sie haben gewusst, wo die Pistole liegt und haben jederzeit Zugriff drauf gehabt. Wann haben S’ die Pistole aus’m Schrank genommen«?
    Wieder antwortete sie nicht auf die Frage. Sie starrte immer noch in Richtung des Beutels mit dem Schal, ihr Blick war allerdings leer.
    »Sie wissen, wie’s mit der Firma weitergeht, wenn Ihr Chef das Feld nicht haben kann. Dann is’ eher heut als morgen vorbei mit dem Betrieb.«
    Noch immer reagierte sie nicht. Aber Charly hatte den Eindruck, ihre Unterlippe hätte leicht zu zittern begonnen.
    »Sie ham ein Verhältnis mit’m Herrn Gessler, gell?«
    Jetzt sah sie Charly an. Aber nicht erschrocken, sondern eher fragend. Pure Verständnislosigkeit lag in ihrem Blick. Was geht es die Polizei an, wenn ich mich mit Ignaz Gessler gut verstehe und wir uns gegenseitig geben, was wir brauchen, schienen ihre hübschen braunen Augen zu sagen, in die wieder Leben zurückkehrte. Aber ihr Mund sagte nach wie vor nichts und da Charly ihre ungestellte Frage nicht beantwortete, wanderte ihr Blick zurück zu dem Plastikbeutel.
    »Oder war’s wegen der Rosa? Wollten S’ endlich Rache? Nach fast vierzig Jahren?«
    »Die Drecksau.« Dann herrschte Grabesstille. Der Ausdruck war aus Frau Berthold herausgekrochen, ohne dass sie die Lippen bewegt hatte, wie in einem dieser Exorzistenfilme, als ob ein fremdes Wesen durch Frau Bertholds Mund sprach. Vor allem auch, weil dieser grobe Kraftausdruck so überhaupt nicht zur Erscheinung der gepflegten Frau passte. Und auch die leidenschaftliche Betonung, die jetzt noch in der Stille des Raumes nachklang, war bemerkenswert. Wie viel Hass musste jemand auf sich konzentriert haben, der es fertig brachte, von dieser distinguierten Person derart derb betitelt zu werden! Jedenfalls war der Kraftausdruck offenbar der Pfropfen gewesen, der bis dahin verhindert hatte, dass sich Frau Berthold zu den Vorhaltungen äußerte, der Verschluss, der nun aufgebrochen war und es ermöglichte, die bis dahin nur gedachten Worte zu artikulieren.
    Den Blick wieder auf den Seidenschal gerichtet, begann sie langsam und leise zu sprechen: »Der hat schon mal ein Leben ausgelöscht; auf dem Gewissen.« Dann sah sie Charly an und ihr Blick war nicht mehr leer. Ihre Augen glühten. »Wissen S’ wie das ist, wenn man einen geliebten Menschen verliert und man schon lange vorher gesehen hat, dass es passieren wird? Wissen S’ wie das ist, wenn man sich danach immer wieder sagt, ich hab’s doch gewusst, warum hab ich nichts getan, warum hab ich nicht rechtzeitig reagiert? Man gibt sich selber die Schuld für das, was passiert ist. Obwohl man genau weiß, schuld ist ein anderer, der durch seine
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