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Bauernopfer

Bauernopfer

Titel: Bauernopfer
Autoren: Thomas Peter
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sich um den Skoda von Frau Berthold gehandelt hatte. Immerhin hatte Thilo Bracke, Ingenieur aus der Automobilbranche, anhand ihm vorgelegter Prospektfotos eingeräumt, dass man dieses Skodamodell durchaus mit einem Golf verwechseln konnte. Auch als Fachmann, insbesondere in einer derartigen Situation, wo alles so schnell ging. Ferner bestand natürlich auch die Möglichkeit, so hatte Herr Bracke nach einer intensiven Erinnerungsphase zugegeben, dass man in einer solchen Gefahrensituation einen großen braunen Aufkleber als Rostfleck wahrnehme. Seine Beschreibung »alter Hund« für den Zustand des Fahrzeuges habe er aus diesem Rostfleck abgeleitet. »Wissen Sie«, hatte er gesagt, »wenn man es nur immer mit hochwertigsten und nagelneuen Fahrzeugen zu tun hat, dann ist alles ein alter Hund, was nicht direkt vom Band läuft, ha ha.«
    Mit der Reaktion, die seine Aussage bei Frau Berthold auslöste, hatte allerdings keiner gerechnet. Zunächst sah sie ihn einige zähe Augenblicke lang ungläubig an. Dann sackte sie nach vorne und schlug die Hände vors Gesicht. Ihre Schultern bebten. Nachdem sie eine Weile in ihre Handflächen geschluchzt hatte, ging ein Ruck durch ihren Körper. Sie richtete sich auf und gleichzeitig fuhr sie mit den Handflächen nach oben und strich die Haare nach hinten. Mit geröteten Augen sah sie Charly an und zusammen mit dem kurz angehaltenem Atem presste sie die Worte »Ich war’s« hervor, wodurch ihre Schultern wieder ein Stück nach vorne fielen. Mit dem Handrücken wischte sie sich die Nase ab und wiederholte: »Ich hab ihn erschossen.«
    »Jetz’ doch?«, kommentierte Sandra.
    »Wie? Erzählen Sie’s uns genauer«, forderte Charly sie auf.
    »Ich bin am Nachmittag noch mal hingefahren und hab ihn erschossen.«
    »Um die Zeit waren Sie aber im Caritas-Heim in Gerolfing.«
    »Ist ein Katzensprung nach Knoglersfreude.«
    »Wo haben Sie ihn denn erschossen?«
    »Im Kuhstall.« Es hörte sich mehr an wie eine Frage, nicht wie eine Aussage. Sie sah Charly an wie bei einer mündlichen Prüfung, wenn man sich vorsichtig vortastet, Schlüsselwörter nennt und auf das zustimmende Nicken des Prüfers hofft.
    Und so, als Frage-und-Antwort-Spiel, setzte sich die Vernehmung fort. Frau Berthold erzählte, dass sie die Pistole vor langer Zeit im Schrank entdeckt und sie vor einigen Wochen mit nach Hause genommen habe, nur aus einer Laune heraus, ohne einen bestimmten Plan. Nachdem sie am Vormittag das fruchtlose Gespräch mit Bichler geführt habe, sei sie nachmittags mit dem Auto noch einmal zum Hof hinausgefahren, habe Bichler im Kuhstall angetroffen und ihn erschossen.
    »Wo im Kuhstall war er denn, der Bichler, als Sie geschossen haben?«, fragte Charly.
    »Ich weiß nicht mehr. Mittendrin?«
    »Und wie haben Sie ihn erschossen, wo haben Sie ihn getroffen?«
    »In den Kopf.« Wieder ein fragender Blick.
    »Wo genau? Links, rechts, Mitte, vorne, hinten?«
    Sie hob die rechte Hand, streckte den Zeigefinger und stellte einen Selbstmord nach. »Äh, hier, rechte Seite.«
    »Und dann?«
    »Dann hab ich die Pistole abgewischt und sie ihm in die Hand gelegt.«
    »In die linke oder in die rechte?«
    »Ich weiß es nicht mehr.« Frau Berthold war fertig. Ihre Haltung war dahin. Von dem Ruck zu Beginn des Geständnisses war nichts mehr übrig. Sie saß zusammengesackt mit hängenden Schultern auf dem Stuhl und wischte sich immer wieder Tränen aus den Augen.
    Charly beschloss, die Vernehmung für heute zu beenden, und Sandra brachte die Sekretärin nach unten in die Arrestzelle, wo sie auf Frau Gambrini-Steinmetz’ Anordnung heute bleiben sollte, bis sie morgen dem Haftrichter vorzuführen wäre.
     
    Helmuth war bei der Vernehmung nicht dabei, darum berichtete ihm Charly in allen Einzelheiten.
    »Die hat zwar jetzt gestanden, aber das ist nicht rund«, sinnierte Charly. »Das passt ned. Natürlich ist das eine Extremsituation, die man wahrscheinlich zu verdrängen versucht, aber die weiß gar nix. Die weiß nicht, wo der Bauer erschossen wurde – der war hinten, fast im letzten Eck, nicht mittendrin – und die weiß nicht, dass er zurückgeschleift wurde an die Wand. Den Rest hat’s aus der Zeitung oder hat’s einfach erraten.«
    Diesen Eindruck hatte auch Frau Gambrini-Steinmetz gewonnen. Doch bevor man jetzt weitere Schritte unternahm, solle man bis morgen abwarten. Eine Nacht im Polizeigewahrsam habe schon manchem Ruhe zum Nachdenken beschert und zu ganz anderen Aussagen am nächsten Tag
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