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Bauernjagd

Bauernjagd

Titel: Bauernjagd
Autoren: Stefan Holtkötter
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perfekt.« Sie betrachtete ihn. »Willst du dir
denn gar nicht das Vogelschießen ansehen?«
    »Ach was. Es ist doch klar, wer dieses Jahr König wird. Vorausgesetzt,
dass sich eine seiner Kugeln zum Vogel verirrt.«
    Er rückte den Stuhl heran. Sein Gesicht wurde ernst.
    »Wie läuft’s bei der Zeitung?«
    »Ganz gut. Wieso?«
    »Ach, nur so.« Er zögerte. »Gibt es neue Informationen zum
Banküberfall? Hat die Polizei inzwischen einen Verdächtigen?«
    Es war zwei Monate her, dass die Sparkasse im Nachbarort Nordwalde
überfallen worden war. Der Täter hatte einen sechsstelligen Betrag erbeutet und
war geflohen, ohne der Polizei allzu viele Spuren zu hinterlassen. Die Cousine
von Clemens war in dieser Sparkasse am Schalter beschäftigt. Ihr hatte der
Bankräuber früh morgens vor Arbeitsbeginn aufgelauert, hatte sie gefesselt und
geknebelt und in Todesangst im Kundenraum zurückgelassen.
    »Ich weiß nichts darüber«, sagte Annika. »Alle denken, nur weil ich
bei der Zeitung arbeite, müsste ich etwas wissen, aber das ist totaler Quatsch.
Ich schreibe über Fußballvereine und Gemeinderatssitzungen. Wenn ich Glück
habe, auch mal über eine Kulturveranstaltung. Woher soll ich wissen, wie der
Stand der Ermittlung ist?«
    »Redet ihr denn nicht über diese Dinge? In der Redaktion, meine ich.
Bestimmt gibt es Informationen, die nicht in der Zeitung stehen, weil sie
inoffiziell sind.«
    »In der Redaktion wird besprochen, wann ich einsatzfähig bin. Dann
bekomme ich meine Termine und erfahre, worüber ich schreiben soll. Mehr nicht.«
    Er schüttelte betrübt den Kopf.
    »Wie geht es denn deiner Cousine?«, fragte Annika.
    »Sie leidet immer noch unter dem Schock. Ihr Zustand bessert sich
überhaupt nicht. Ich sage dir: Wenn ich diesen Typen in die Finger bekomme …«
Weiter kam er nicht. Draußen brach Jubel aus. Die Leute vor dem Zelt liefen in
Richtung der Festwiese. Offenbar war der Vogel abgeschossen worden.
    Clemens Röttger verlor alles Nachdenkliche. Er strahlte sie an und
sprang auf.
    »Hat es Mario also tatsächlich geschafft!«, meinte er lachend.
»Wurde aber auch Zeit.«
    Die Blaskapelle der Freiwilligen Feuerwehr dröhnte über den Platz.
Einige Instrumente quietschten schief in die altbekannte Melodie hinein: »Es
waren zwei Königskinder«, seit Jahren die heimliche Hymne des
Erlenbrook-Kapellener Schützenfests.
    Clemens Röttger lief zur Festwiese, wo sich die Schützen um den
neuen König drängten. Annika blieb im Schatten des Zeltes stehen. Noch konnte
sie Mario Westlake nicht entdecken, doch gleich würden ihn zwei Schützen auf
ihre Schultern heben.
    Ein paar Jugendliche liefen an ihr vorbei und zerrten saftiggrüne
Fahnen aus dem Kofferraum eines Kombis. Dann stellten sie sich auf, hoben die
Fahnen an ihre Schultern und marschierten auf die Wiese, um den Fahnenschlag
vorzuführen.
    Die Traube um den neuen König wurde immer größer. Jetzt hoben ihn
zwei Männer hoch, und er ragte aus der Menge heraus. Erst in dem Moment sah
Annika, dass es nicht Mario, sondern Marita war.
     Sie lief über den staubigen
Platz. Am Grillstand wechselte sie einen Blick mit ihrer Mutter, die sich
erschrocken die Hand vor den Mund hielt.
    »Mario, du Flasche!«, hörte sie jemanden rufen. »Musst dir von einer
Frau zeigen lassen, wie man einen ordentlichen Schuss abgibt.«
    »Der Typ ist echt ’ne Schande! Für ganz Erlenbrook-Kapelle.«
    Annika blickte zum Schießstand. Mario Westlake stand noch immer auf
der Wiese, mit hochrotem Kopf und eingezogenen Schultern. Derweil rollte das
Knäuel der jubelnden Schützen auf den Bierwagen zu. Marita tauchte zwischen
ihnen auf. »Moment! Moment! Hört mir doch zu! Ich will gar nicht!«, rief sie,
ehe sie wieder in der Menge verschwand.
    Marita nutzte den einzigen Ausweg: Sie ließ sich zum Bierkönig
ernennen. Dafür musste sie den Schützen ein Fünfzig-Liter-Fass Bier spendieren,
sich eine aus Bierdeckeln gebastelte Königskette umhängen lassen, ihr Glas
heben – und danach würde der Vogel wieder aufgesetzt, und das Schießen könnte
weitergehen.
    Die älteren und bereits stark angetrunkenen Männer bedauerten, dass
ihnen nun entging, zum ersten Mal in der Geschichte ihres Schützenvereins eine
Frau auf dem Thron zu sehen. Längst waren sie in der Stimmung, so etwas amüsant
zu finden.
    »Nicht so schnell!«, rief einer der Männer vor dem Bierstand. »So
leicht entkommst du uns nicht, Marita. Wenigstens eine Bierkönigin musst du
wählen! Tu es für
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