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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino
Autoren: Umberto Eco
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Wissenschaften, Heimstatt des Schönen, so hast du nun aus der Hand Gottes den Becher des Zornes getrunken und bist verbrannt in einem noch größeren Feuer als jenem, das einst die Pentapolis zerstörte! Welche neiderfüllten, unversöhnlichen Dämonen haben die Unmäßigkeit ihres Rausches über dir ausgegossen, welche rasenden, hasserfüllten Freier haben die Hochzeitsfackel in dir entzündet? O Mutter, einst warst du bekleidet mit dem Golde und Purpur des Kaisers, jetzt bist du besudelt und in den Schmutz getreten von deinen Söhnen. Gleich in einen Käfig gesperrten Vögeln finden wir weder den Weg, diese Stadt zu verlassen, die doch die unsere war, noch die Gelassenheit, in ihr zu bleiben, sondern irren wie schweifende Sterne in ihr umher!«
    »Kyrios Niketas«, erwiderte Baudolino, »man hat mir gesagt, dass ihr Griechen zu viel und über alles redet, aber ich hatte nicht gedacht, dass ihr so weit geht. Im Moment ist die einzige Frage, wie man hier rauskommt. Ich kann dich im Viertel der Genueser in Sicherheit bringen, aber du musst mir den schnellsten und sichersten Weg zum Neorionhafen zeigen, denn dieses Kreuz, das ich auf der Brust habe, schützt nur mich, nicht dich. Hier ringsum haben die Leute das Licht des Verstandes verloren. Wenn sie mich mit einem griechischen Gefangenen sehen, werden sie denken, dass er etwas wert sein muss, und werden ihn mir wegnehmen.«
    »Einen guten Weg wüsste ich schon, aber er folgt nicht den Straßen«, sagte Niketas, »und du müsstest dein Pferd zurücklassen.«
    »Dann lassen wir's eben zurück«, sagte Baudolino mit einer Unbekümmertheit, die Niketas erstaunte – er wusste ja noch nicht, wie wenig ihn sein Reittier gekostet hatte.
    So ließ sich Niketas auf die Beine helfen, nahm Baudolino bei der Hand und zog ihn behutsam zur Schwitzenden Säule. Er blickte umher: In der ganzen Weite des Kirchenraumes waren die Pilger, die von weitem gesehen wie wimmelnde Ameisen aussahen, mit Plündern und Raffen beschäftigt und achteten nicht auf die beiden. Er knietesich hinter der Säule auf den Boden und zwängte die Finger in eine etwas unregelmäßige Fuge zwischen zwei Steinplatten. »Hilf mir ein wenig«, sagte er zu Baudolino. »Zu zweit werden wir's vielleicht schaffen.« Tatsächlich ließ sich die Platte nach einiger Anstrengung heben und gab den Blick auf eine dunkle Öffnung frei. »Da ist eine Treppe«, sagte Niketas. »Ich gehe voran, ich weiß, wohin man treten muss. Zieh hinter dir die Steinplatte wieder zu.«
    »Was machen wir denn jetzt?« fragte Baudolino.
    »Wir steigen hinunter«, sagte Niketas, »dann tasten wir uns zu einer Nische vor, dort finden wir Fackeln und Feuerzeug.«
    »Schöne große Stadt, dieses Konstantinopel, und so voller Überraschungen!« kommentierte Baudolino, während er tastend die Wendeltreppe hinunterstieg. »Schade, dass diese Schweine keinen Stein auf dem anderen lassen werden!«
    »Diese Schweine?« fragte Niketas. »Gehörst du denn nicht zu ihnen?«
    »Ich?« wunderte sich Baudolino. »Keineswegs. Wenn du meinst, wegen meiner Kleidung – die habe ich mir bloß geliehen. Ich war schon in der Stadt, als diese Kerle eindrangen. Aber wo sind denn bloß diese Fackeln?«
    »Geduld, nur noch ein paar Stufen. Sag mir, wer bist du, wie heißt du?«
    »Baudolino aus Alexandria, nicht aus dem in Ägypten, sondern aus dem, das heute noch Caesarea heißt, aber wer weiß, vielleicht heißt es heute ja gar nicht mehr, sondern ist verbrannt wie Konstantinopel. Ich meine das Alexandria in Oberitalien, zwischen dem Meer und den Bergen im Norden, unweit von Mediolanum, kennst du das?«
    »Ich habe von Mediolanum gehört. Es wurde einmal vom König der Alemannen zerstört. Und später hat unser Basileus den Einwohnern Geld für den Wiederaufbau gegeben.«
    »Richtig, ich war beim König der Alemannen, bevor er starb. Du bist ihm einmal begegnet, als er die Propontis überquerte, vor etwa fünfzehn Jahren.«
    »Fridericus Rotbart. Ein großer, hochedler Herrscher, mildtätig und barmherzig. Er hätte sich nie so benommen wie diese hier ...«
    »Wenn er eine Stadt eroberte, war auch er nicht zimperlich.«
    Endlich waren sie am Fuß der Treppe angelangt. Niketas fand die Fackeln, entzündete sie, und im flackernden Schein der hochgehaltenen Lichter schritten sie durch einen langen Gang, dessen Wände nass glänzten, bis Baudolino auf einmal den Bauch von Konstantinopel erblickte – dort, wo sich, fast direkt unter der größten Kirche der Welt,
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