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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino
Autoren: Umberto Eco
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unbemerkt eine andere Basilika in die Weite und Tiefe erstreckte, ein Wald von Säulen, die sich im Dunkel verloren wie ebenso viele Bäume eines Sumpf- oder Lagunenwaldes, der in flachem Wasser wächst. Eine ganz auf den Kopf gestellte Basilika oder Abteikirche, denn auch das Licht, das schwach auf Kapitelle fiel, die undeutlich im Schatten der hohen Gewölbe zu sehen waren, kam nicht aus Rosetten oder Fenstern, sondern aus der spiegelnden Wasserfläche am Boden, die den Fackelschein reflektierte.
    »Die Stadt ist voller Zisternen«, sagte Niketas. »Die Gärten von Konstantinopel sind kein Geschenk der Natur, sondern ein Ergebnis der Kunst. Aber schau, das Wasser steht jetzt nur noch kniehoch, weil das meiste zum Löschen der Brände benutzt worden ist. Wenn die Eroberer auch noch die Aquädukte zerstören, werden alle verdursten. Normalerweise kann man hier nicht zu Fuß durch, nur mit einem Boot.«
    »Geht das denn so weiter bis zum Hafen?«
    »Nein, diese Zisterne endet vorher, aber ich kenne Passagen und Treppen, die sie mit anderen Zisternen und Gängen verbinden, so dass wir unterirdisch wenn nicht direkt bis zum Neorion, so doch bis zum Prosphorion gehen können. Allerdings«, sagte er bekümmert, als ob er sich erst in diesem Augenblick auf eine andere Pflicht besann, »ich kann nicht mitkommen. Ich zeige dir den Weg, aber dann muss ich umkehren. Ich muss meine Familie retten, sie ist in einem kleinen Haus hinter der Irenenkirche versteckt. Du musst wissen«, fügte er wie zur Entschuldigung hinzu, »mein schönes großes Haus ist bei der zweiten Feuersbrunst verbrannt, damals im August ...«
    »Kyrios Niketas, du bist wohl nicht recht bei Trost. Erstlässt du mich hier runtersteigen und auf mein Pferd verzichten, obwohl ich ohne dich sehr gut durch die Straßen zum Neorion gelangt wäre, und dann willst du umkehren und mich allein weitergehen lassen. Meinst du, du könntest deine Familie erreichen, bevor dich zwei andere Sergenten anhalten wie die, bei denen ich dich gefunden habe? Und selbst wenn es dir gelingt, was willst du dann tun? Früher oder später wird dich jemand finden, und wenn du meinst, du könntest die Deinen nehmen und in Sicherheit bringen – wohin willst du denn gehen?«
    »Ich habe Freunde in Selymbria«, sagte Niketas zögernd.
    »Ich weiß zwar nicht, wo das ist, aber um dort hinzugelangen, musst du erstmal aus der Stadt hinaus. Kyrios Niketas, du kannst für deine Familie nichts tun. Aber wo ich dich hinbringe, dort finden wir Freunde aus Genua, die in dieser Stadt das gute und schlechte Wetter machen. Sie sind gewohnt, mit den Sarazenen zu handeln, mit den Juden, den Mönchen, der kaiserlichen Wache, den persischen Kaufleuten und jetzt auch mit den lateinischen Pilgern. Es sind gewiefte Leute, du sagst ihnen, wo sich deine Familie befindet, und sie bringen sie dir morgen dahin, wo wir sein werden. Wie sie das anstellen, weiß ich nicht, aber sie werden es tun. Sie würden es in jedem Fall für mich tun, weil wir alte Freunde sind, und um der Liebe zu Gott willen, aber sie sind immerhin Genueser, und so kann es nichts schaden, wenn du ihnen ein kleines Geschenk machst. Dann bleiben wir dort, bis sich die Lage beruhigt hat, gewöhnlich dauert eine Plünderung nicht länger als ein paar Tage, du kannst mir glauben, ich habe schon viele gesehen. Und dann gehen wir nach Selymbria oder wohin immer du willst.«
    Niketas war überzeugt und bedankte sich. Und während sie weitergingen, fragte er Baudolino, warum er sich in der Stadt befand, wenn er doch kein Kreuzpilger war.
    »Ich bin angekommen, als die Lateiner bereits am anderen Ufer angelegt hatten, zusammen mit anderen, die ... die jetzt nicht mehr da sind. Wir sind von sehr weit her gekommen.«
    »Warum habt ihr die Stadt nicht verlassen, solange noch Zeit war?«
    Baudolino zögerte mit der Antwort. »Weil ... weil ich hierbleiben musste, um etwas zu begreifen.«
    »Und hast du es begriffen?«
    »Leider ja, aber erst heute.«
    »Eine andere Frage: Warum machst du dir so viel Mühe mit mir?«
    »Was soll ich denn sonst mit einem guten Christen machen? Aber im Grunde hast du schon recht. Ich hätte dich von diesen zwei Kerlen befreien und dann allein fliehen lassen können, aber ich habe mich an dich geheftet wie ein Blutegel. Schau, Kyrios Niketas, ich weiß, dass du ein Geschichtsschreiber bist, so einer, wie Bischof Otto von Freising einer war. Aber als ich Bischof Otto kannte und bei ihm war, bevor er starb, da war ich ein Knabe
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