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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino
Autoren: Umberto Eco
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können, wo er welches versteckt habe. In diesem Augenblick fühlte sich Niketas verloren, denn wie er bei seinem verzweifelten Gang durch die Straßen der eroberten Stadtgesehen hatte, genügte es nicht zu zeigen, dass man nur wenige Münzen bei sich trug, oder zu verneinen, dass man irgendwo einen Schatz verborgen habe: Ehrwürdige Greise, erniedrigte Hochgestellte, ihres Besitzes beraubte Besitzer wurden aufs schlimmste gefoltert, damit sie verrieten, wo sie ihre Habe versteckt hatten, wurden getötet, wenn sie es nicht verraten konnten, weil sie nichts mehr besaßen, oder liegen gelassen, wenn sie es verrieten, nachdem sie so viele und grässliche Qualen erlitten hatten, dass sie in jedem Fall daran starben, indes ihre Peiniger eine Steinplatte anhoben, eine falsche Wand einrissen, eine Hängedecke ruinierten und ihre gierigen Hände auf kostbares Tafelgeschirr legten, Samt und Seide befühlten, Pelze streichelten, Edelsteine und Geschmeide zwischen den Fingern drehten, Dosen und Säckchen voll seltener Spezereien beschnupperten.
    So sah sich Niketas in jenem Augenblick bereits tot, er beweinte seine verlorene Familie und bat den Allmächtigen um Vergebung für seine Sünden. Im selben Augenblick kam Baudolino in die Hagia Sophia.
     
    Er kam hereingesprengt, prächtig wie Saladin, auf einem Ross mit Schabracke, ein rotes Kreuz auf der Brust, das gezogene Schwert in der Hand, und er brüllte: »Gottverfluchte Saubande, Lumpenpack, Hurenböcke, Himmelsakra, ist das die Art, wie man mit den Dingen unseres Herrn umgeht?« Dabei drosch er mit der flachen Klinge auf jene gotteslästerlichen Plünderer ein, die genau wie er ein Kreuz auf der Brust trugen, nur dass er nicht betrunken war, sondern außer sich. Er trieb sie rechts und links auseinander, sprengte mitten hindurch, und als er bei der auf dem Patriarchensessel hingefläzten Hure ankam, bückte er sich hinunter, packte sie an den Haaren und schleifte sie in den Kot der Maultiere, wobei er ihr grässliche Dinge zurief über die Mutter, die sie geboren hatte. Doch ringsumher waren diejenigen, die er durch sein Tun zu bestrafen glaubte, so betrunken oder so sehr damit beschäftigt, Edelsteine zusammenzuraffen, wo immer es welche geben mochte, dass sie gar nicht bemerkten, was er tat.
    Während er noch dabei war, stieß er unversehens auf die zwei Riesen, die sich gerade anschickten, den armen Niketas zu foltern. Er blickte den Ärmsten an, der um Gnade flehte, ließ die Haare der Kurtisane los, die verunstaltet auf den Boden sank, und sagte in bestem Griechisch: »Bei allen zwölf Magierkönigen aus dem Morgenland, bist du nicht der Logothet Niketas, der Minister des Basileus? Was kann ich für dich tun?«
    »Bruder in Christus, wer immer du sein magst«, rief Niketas, »befreie mich von diesen Barbaren, die meinen Tod wollen, rette meinen Leib, und du wirst deine Seele retten!« Die beiden lateinischen Pilger hatten von diesem Wortwechsel in orientalisch klingenden Tönen nicht viel verstanden, und so fragten sie Baudolino, der einer der ihren zu sein schien, in provenzalischer Sprache. Und in bestem Provenzalisch erwiderte Baudolino, dass dieser Mann ein Gefangener des Grafen Balduin von Flandern sei, in dessen Auftrag er gerade nach ihm gesucht habe, wegen gewisser arcana imperii , die zwei elende Sergenten wie sie nie und nimmer verstehen würden. Die beiden waren einen Moment wie vor den Kopf gestoßen, dann beschlossen sie, dass es nur Zeitverlust wäre, eine Diskussion anzufangen, da sie in derselben Zeit mühelos andere Schätze suchen gehen konnten, und verdrückten sich in Richtung Hauptaltar.
    Niketas kniete zwar nicht nieder, um die Füße seines Retters zu küssen, auch weil er ja schon auf dem Boden lag, aber er war zu erschüttert, um mit der seinem Rang gebührenden Würde zu reagieren. »Oh, guter Mann«, sagte er, »hab Dank für deine Hilfe! Nicht alle Lateiner sind also losgelassene Bestien mit hassverzerrten Gesichtern! Nicht einmal die Sarazenen haben sich so aufgeführt, als sie Jerusalem zurückeroberten und Saladin sich mit wenigen Münzen begnügte, um die Einwohner zu verschonen! Welch eine Schande für die ganze Christenheit, Brüder bewaffnet gegen Brüder, Kreuzpilger, die das Heilige Grab befreien sollten und statt dessen, von Neid und Habgier erfasst, das Reich der Romäer zerstören! O Konstantinopel, Konstantinopel, erhabene Stadt! Nährmutter der Kirche,Ahnherrin des Glaubens, Weiserin der rechten Lehre, Pflegerin der
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