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Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck
Autoren: Hakan Nesser
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des einen oder anderen Buches großes Geld zu verdienen. Ganz zu schweigen davon, welches Echo sein letztes, hinterlassenes Buch verursachen würde. Eine posthum erscheinende Erstausgabe in Übersetzung. Absurder ging es nicht mehr, kein Zweifel.
    Es lag immer noch da zwischen den gelben Pappdeckeln. Ich hatte Amundsen und Kerr gegenüber schwören müssen, mit meiner Tugend und meinem Leben darüber zu wachen. Dennoch hatten sie eine Kopie gezogen und sie tief in dem allerheiligsten Bankfach des Verlags deponiert – es gab trotz allem Grenzen, welches Risiko man eingehen musste, hatte Amundsen verlauten lassen. Meine Standhaftigkeit, die Lektüre des Manuskripts nicht bereits auf dem Hinflug anzufangen, mag möglicherweise etwas übertrieben erscheinen, aber sie hängt mit der Methode zusammen, nach der ich beim Übersetzen vorgehe. Wie vieles andere habe ich sie von Henry Darke geerbt, und mir ist klar geworden, dass sie in meiner Zunft nicht unbedingt üblich ist. Der Hauptgedanke dabei ist, dass die Interpretation, die Übersetzung, unmittelbar ansetzen muss, bereits beim ersten Kontakt mit dem Text, und hierzu bemühe ich mich, so wenig wie möglich mit meiner Lektüre im Vorsprung zu sein. Möglichst nur einen Absatz oder eine Zeile, allerhöchstens eine halbe Seite. Ich weiß, dass andere Übersetzer genau gegenteilig arbeiten. Sie ziehen es vor, das ganze Werk zwei- oder dreimal durchzuarbeiten, bevor sie sich an die Arbeit machen, aber wie gesagt hatte Henry Darke mir dieses Modell empfohlen, und mir wurde schnell klar, dass es mir mehr zusagte. Besonders bei einem Autor wie Germund Rein, bei dem man oft den Eindruck gewinnen konnte, dass er während des Schreibens oft selbst nicht genau wusste, wie es zwei Seiten später weitergehen sollte.
    Im Translators’ House gibt es neben den Gästezimmern eine gemeinsame Küche mit Herd, Kühlschrank und Gefriertruhe sowie eine ziemlich gut bestückte Bibliothek (besonders was Lexika betrifft natürlich) mit einer Reihe gut abgeschirmter und eigentlich ansprechender Arbeitsplätze. Aber an meinem ersten Tag erschien mir alles ziemlich heruntergekommen. Im Kühlschrank fand ich ein paar Dosen Bier, ein halbes Paket Butter und einen Käserest, der hier bestimmt schon seit lange vor Weihnachten sein trauriges Dasein fristete. Die Bibliothek sah staubig und wenig einladend aus, an drei der Arbeitsplätze waren die Lampen kaputt, und mir wurde schnell klar, dass es vollkommen ausgeschlossen war, mich mit Reins Manuskript in diesem Milieu niederzulassen. Der Kaffeeautomat im Eingang war außer Funktion, und Fräulein Franck, die vier Stunden am Tag in der so genannten Rezeption saß, erzählte, dass man bereits im Oktober einen neuen bestellt hatte, die Lieferung sich aber offensichtlich verzögerte. Sie ging dann auch die Putz- und Reinigungsgebräuche mit mir durch, wobei ich sie mit dem Hinweis darauf unterbrach, dass ich schon einmal hier gewohnt hatte und mich damit auskannte und dass ich außerdem vermutlich nur eine Woche bleiben würde.
    Offensichtlich gelang es mir, sie mit diesen einfachen Informationen zu verletzen, denn sie putzte sich ostentativ die Nase und widmete sich wieder ihrer Stickerei, ohne noch ein Wort zu verlieren.
    Ich überließ sie ihrem Schicksal und begab mich stattdessen in die Stadt. Es war wie gesagt ein ganz gewöhnlicher Dienstag, trotzdem waren ziemlich viele Menschen unterwegs, wie ich feststellen konnte, zumindest im Zentrum und in den Touristenbereichen. Die Kälte war beträchtlich, mehrere Kanäle waren zugefroren, und ein beißender Wind zog vom Meer heran. Ich schlüpfte in einige Buchläden und Musikgeschäfte, in erster Linie, um mich ein wenig aufzuwärmen. Saß dann in ein paar Cafés mit Bier und Zigaretten und starrte die Menschen an, und bald stellte ich fest, dass ich nach Ewa suchte. Alle Frauen mit dunklem, glattem Haar zogen sofort meinen Blick auf sich, und der Gedanke, dass ich ihr tatsächlich Aug in Aug gegenüberstehen könnte, war stimulierend und ein wenig beunruhigend zugleich.
    Ich dachte an unseren letzten gemeinsamen Morgen in diesem kleinen Gebirgsort, bevor sie sich zu ihrer letzten Fahrt aufgemacht hatte, und daran, welch unendliche Zärtlichkeit ich für sie empfunden hatte, als sie ins Auto stieg und davonfuhr, um sich mit ihrem Geliebten zu treffen. Ich erinnere mich, wie ich auf dem Balkon stand und den Impuls, hinter ihr herzurufen, nur schwer unterdrücken konnte, während sie über den Hof fuhr
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