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Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck
Autoren: Hakan Nesser
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gleiche unzweifelhafte Richtung deuteten, erst dann lenkte sie ein, und die Botschaft wurde über die Welt verbreitet.
    Der Ort, den er sich ausgesucht hatte – oder besser: der wahrscheinliche Ort –, hatte hinsichtlich der Suche den Vorteil, zu dieser Jahreszeit weder Winde noch Unterwasserströmungen aufzuweisen, und vieles deutete darauf hin, dass der Körper ins Meer hinausgetragen worden war. Wenn es außerdem noch zutraf, dass er ein gewisses Gewicht am Leibe trug, so sprach sehr viel dafür, dass die Überreste des großen Neomystikers Germund Rein sich nunmehr irgendwo zwischen drei- und fünfhundert Metern Tiefe befanden. Zwanzig bis dreißig Kilometer aufs Meer hinaus, wenn man der vorsichtigen Einschätzung von C.G. Gautienne und Harald Weissvogel in der »Poost« folgte, jener Zeitung, die am weitesten bei dem Versuch ging, eine mögliche Lageposition zu bestimmen.
    Irgendwie war das alles typisch für Germund Rein, und ich hatte keine Probleme, mir vorzustellen, wie er da unten in der Tiefe mit seinem verächtlichen Grinsen auf den Lippen lag, während die Fische an seinem schlaffen Altmännerfleisch knabberten.
    Viel zu sublim, um sich von gewöhnlichen Sterblichen nach der üblichen Art und Weise in der Erde vergraben zu lassen. Unberührbar bis zum Letzten.
    Natürlich war mir schon klar, dass derartige Gedanken wohl kaum eine besonders gute Grundlage für die Arbeit darstellten, die ich in A. auszuführen hatte. Wenn es etwas gibt, was alle Voraussetzungen dafür bietet, eine Übersetzungsarbeit zu stören, dann ist es das Gefühl von Feindseligkeit und Animosität gegenüber dem Urheber des Textes.
    Aber ich hatte wie gesagt ja noch gar nicht angefangen, und vielleicht war es gar nicht so schlecht, die Aggressionen los zu werden, bevor es soweit war.
    Ich glaube, das versuchte ich mir wenigstens einzureden.
     
    Mein Flugzeug startete um 22 Uhr, genau sechs Stunden zu spät, und als wir nach einer ziemlich unruhigen Reise auf dem Flugplatz außerhalb von A. landeten, war es bereits nach Mitternacht. Die Fluggesellschaft bot allen Passagieren an, im Flughafenhotel zu übernachten, was ich – wie die meisten – annahm, und so konnte ich erst am Vormittag des 4. Januar am Hauptbahnhof von A. aus dem Zug steigen. Ich weiß eigentlich gar nicht, warum ich diese nebensächlichen Zeitangaben so genau vermerke, vielleicht ist das in erster Linie eine Frage der Kontrolle. Des Gefühls von Kontrolle, besser gesagt: das, was Rimley als die notwendige Zeit- und Raumbelastung der Bewegung bezeichnet, aber nachdem ich eine Zeit in A. verbracht hatte – in diesem stillstehenden Raum –, merkte ich schnell, wie unwichtig es für mich war, solche Begriffe wie Datum und Uhrzeit parat zu haben. Als ich in der Bibliothek arbeitete, kam es häufiger vor, dass man mich höflich hinauskomplimentierte, wenn es an der Zeit war, abends zu schließen, und ich erinnere mich, wie ich einmal – höchstwahrscheinlich im März oder April – verständnislos an der Tür eines kleinen Ladens rüttelte, weit nach Geschäftsschluss oder sonntags zu einer sehr frühen Stunde.
    Aber wie gesagt, am 4. Januar traf ich ein. Am Vormittag. Und auch hier lag nicht gerade Frühling in der Luft.
     
    Mit zwei schweren Reisetaschen und meiner abgewetzten Aktentasche (in der der gelbe Ordner lag, ein paar Lexika sowie ein großer Umschlag mit unzähligen Fotos von Ewa) nahm ich ein Taxi zum Translators’ House. Von den sechs Gästezimmern waren vier belegt. Zwei Afrikaner, ein typischer Finne sowie ein rotwangiger Ire, dem ich auf der Treppe begegnete – er roch nach billigem Whisky und sprach mich in einer Art Deutsch an. Ich lehnte seine Einladung auf einen Drink in der Bar gegenüber ab, nahm mein Zimmer in Beschlag und beschloss, mir so bald wie möglich etwas Besseres zu suchen. Ich hatte die Wohnungsfrage mit Kerr und Amundsen diskutiert, und es herrschte eine gewisse Einigkeit darüber, dass das Translators’ House vielleicht nicht die beste Lösung war, wenn man es recht bedachte. Vermutlich würde mein Aufenthalt an so einem Ort früher oder später Reins Verlegern zu Ohren kommen, und wir hatten uns ja dazu entschieden, uns strikt an den Letzten Willen des Verschiedenen zu halten. Diskretion Ehrensache. Meine Arbeit in A. sollte vonstatten gehen, ohne dass jemand darauf aufmerksam wurde. Die Aufregung und die Artikel nach Reins Tod hatten den ganzen Dezember über angehalten, und es gab natürlich mit der Neuauflage
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