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Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck
Autoren: Hakan Nesser
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bat ich um Bedenkzeit. Zumindest für ein paar Tage – oder bis die Details um Reins Tod richtig bekannt geworden waren. Kerr ging auf meinen Wunsch ein, aber als wir uns vor dem Restaurant trennten, konnte ich deutlich erkennen, wie es in ihm gärte.
    Das war natürlich alles andere als verwunderlich. Während ich durch den rauen Wind nach Hause ging, dachte ich über die Sache nach und versuchte mir die Lage etwas klarer zu machen. Wenn es stimmte, was Rein da in seinem Brief geschrieben hatte, dann handelte es sich hier um ein gewissermaßen jungfräuliches Manuskript. Ungelesen und unbekannt. Es war kein Problem, sich vorzustellen, für welche Sensation das in Verlagskreisen und bei der Bücher lesenden Allgemeinheit sorgen konnte, wenn es erschien. Germund Reins letztes Werk. Erste Veröffentlichung in Übersetzung! Warum nicht am Jahrestag des Dahinscheidens des Autors?
    Ohne den Inhalt in Betracht zu ziehen, würde das Buch bestimmt im Handumdrehen an die Spitze der Bestsellerliste klettern und weiß Gott benötigtes Geld für den Verlag einbringen, der – und das war wohl kaum ein Geheimnis – es in den letzten Jahren ein wenig schwer gehabt hatte.
    Voraussetzung dafür war natürlich, dass die Schweigepflicht eingehalten wurde und man die Sache mit der gebotenen Diskretion behandelte. Wie es um diese Besonderheit genau bestellt war, war natürlich in einem so frühen Stadium nur schwer zu sagen, aber wenn es so war, wie Kerr hoffte, dann gab es möglicherweise nur vier Menschen auf der ganzen Welt, die von der Existenz dieses Manuskripts wussten. Kerr und Amundsen. Ich selbst und Rein.
    Und Rein war ganz offensichtlich tot.
    Während wir im Klosterkeller gesessen hatten, hatte ich kein einziges Mal darum gebeten, mir die Mappe näher anschauen zu dürfen, und Kerr hatte es mir auch nicht angeboten. Und bis ich einen positiven Bescheid ablieferte, würde ich natürlich weiterhin in Unwissenheit über den Inhalt bleiben. Mit einer fast rituellen Gewissenhaftigkeit hatte Kerr die Gummibänder wieder an ihren Platz geschoben und das Manuskript in die Aktentasche. Nachdem wir in der Garderobe unsere Mäntel angezogen hatten, sicherte er außerdem noch den Taschengriff mit einer Kette an seinem Handgelenk. Es war nicht zu übersehen, dass er alles in allem wirklich die größte Sorgfalt aufwandte. Außerdem kam ich zu dem Schluss, dass sowohl er als auch Amundsen vermutlich Reins Ermahnung ad notam genommen und keine weitere Kopie gezogen hatten.
     
    Was ich bisher berichtet habe, spielte sich am Donnerstag in der Woche vor dem ersten Advent ab, und auch wenn ich mich noch nicht entschieden hatte, so klärten sich die Dinge am nächsten Tag, als ich zu meinem Arbeitsplatz im Institut kam.
    Schinkler und Vejmanen empfingen mich mit finsteren Mienen, und ich begriff sofort, was geschehen war. Wir hatten auf unser Ersuchen nach zusätzlichen Projektmitteln eine Absage erhalten. Ich fragte nach und bekam die Bestätigung mittels eines langen Fluchs von Vejmanen. Schinkler wedelte mit einem Brief vom Bildungsministerium herum, der vor einer halben Stunde eingetroffen war, und sah dabei sehr resigniert aus.
    Uns dreien war die Lage nur allzu klar. Auch wenn wir nicht viel Zeit darauf verwendeten, die Sache zu diskutieren, so wussten wir doch, was das bedeutete.
    Wir mussten runterschrauben. Wir waren drei Personen, und wir hatten nur Projektmittel für zwei.
    Einmal Vollzeit und zweimal Teilzeit. Oder zweimal Vollzeit und einmal feuern.
    Schinkler war der Älteste von uns. Vejmanen hatte Frau und Kinder. Wenn ich heute zurückblicke, bin ich immer noch davon überzeugt, dass ich keine große Wahl hatte.
    »Ich glaube, ich kann ein Übersetzerstipendium kriegen«, sagte ich.
    Vejmanen blickte zu Boden und kratzte sich nervös an der Handwurzel.
    »Für wie lange?«, fragte Schinkler.
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »Ein halbes Jahr, nehme ich mal an.«
    »Dann ist es abgemacht«, sagte Schinkler. »Bis zum nächsten Herbst werden wir verdammt noch mal ja wohl wieder etwas Geld auftreiben können.«
    Und damit war die Sache entschieden. Ich verbrachte den Vormittag damit, meinen Schreibtisch aufzuräumen und meinen bescheidenen Teil der Whiskyflasche zu leeren, die Vejmanen unten im Laden auf der anderen Straßenseite gekauft hatte, und als ich nach Hause kam, rief ich Kerr an und fragte ihn, ob er mehr über Reins Tod erfahren habe.
    Das hatte er nicht. Ich erklärte ihm, dass ich beschlossen hatte, den Auftrag
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