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Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck
Autoren: Hakan Nesser
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kommen (mein Tonbandgerät war während der Sendung leider ausgeschaltet gewesen, da ich vergessen hatte, neue Bänder zu kaufen), aber so sehr es den Zweifeln auch gelungen war, während dieser Wartezeit ihre Klauen in mich zu schlagen, so lockerte sich der Griff doch unmittelbar, als ich mich hinsetzen und das Konzert noch einmal hören konnte. Vier, fünf Mal spulte ich vor und zurück bei der betreffenden Stelle, und jedes Mal versuchte ich, mir wieder ganz unvoreingenommen und gleichzeitig besonders aufmerksam das Geräusch anzuhören.
    Ich kann es natürlich nicht beschreiben. Gibt es überhaupt Worte für so etwas wie ein Husten? Mir kommt der Gedanke, wie wenig von unserer Wirklichkeit und unseren Vorstellungen von ihr eigentlich in den Bereich der Sprache fällt. Während es also kein Problem für mich darstellt, mit Hilfe eines ganz kurzen Höreindrucks das Charakteristische an dem spezifischen Husten eines Menschen herauszufiltern – unter dem von Millionen –, besitze ich kaum ein adäquates Wort oder einen Ausdruck, um dieses Geräusch zu beschreiben. Ich nehme an, dass eine genaue Unterscheidung mit Hilfe komparativer Luftfrequenzkurven und ähnlicher Techniken zu Stande kommen könnte, aber was mich betrifft, war dieser Aspekt von Anfang an überflüssig und uninteressant.
    Es war Ewa, die da hustete. Am 4. Mai hatte sie in A. gesessen und Beethovens Violinkonzert gehört. Ich hatte es sofort gewusst, als ich es hörte, und ich wusste es immer noch genau, nachdem ich es mir wieder und wieder angehört hatte.
    Sie lebte. Sie lebte, und es gab sie. Zumindest vor sechs Monaten.
    Und das versetzte mir einen Schlag, wie schon gesagt.
     
    Der zweite Grund, nach A. zu fahren, trat zwei Wochen nach dem Rundfunkkonzert ein. Frühmorgens rief mich der Verleger Arnold Kerr an und teilte mir mit, dass Rein tot sei und dass er soeben dessen neues Manuskript erhalten habe.
    Das klang natürlich gleichzeitig verwirrend und ein wenig widersprüchlich, und noch am gleichen Tag verabredeten wir uns im Klosterkeller zur Mittagszeit, um die Geschichte zu erörtern.
    Das heißt, das Wenige zu erörtern, das es zu diesem Zeitpunkt zu erörtern gab. Rein sei tot, stellte Kerr fest und stocherte ein wenig lustlos mit der Gabel in seinen Fettucini herum. Die genauen Umstände waren noch unbekannt, aber er war während der letzten Jahre nie so richtig gesund gewesen, also war es so gesehen keine große Überraschung. Ich versuchte natürlich, Details zu erfahren, aber die meiste Zeit saß Kerr nur da und zuckte abwehrend mit den Schultern, und bald war klar, dass er nicht besonders viel darüber wusste, was eigentlich passiert war. Er hatte die Nachricht per Telefon erhalten. Zimmermann hatte am vergangenen Abend aus A. angerufen und die Tatsache mitgeteilt, und Kerr nahm an, dass alle näheren Umstände in dem Pressecommuniqué stehen würden, das zwar zugegebenermaßen ungewöhnlich lange auf sich warten ließ, aber mit Sicherheit bis zum Abend auftauchen würde. Rein war schließlich ein bekannter Mann gewesen, sowohl in seinem Heimatland als auch in einigen anderen Teilen der zivilisierten Welt.
    Wählerisch und möglicherweise ein wenig schwierig, aber viel gelesen und geschätzt, oh doch. Und in gut zehn Sprachen übersetzt. Und hier kam ich ins Bild – oder war besser gesagt hereingekommen. Reins frühe Werke – die Tschandala-Suite und seine Essays – hatte noch Henry Darke in unsere Sprache übersetzt und interpretiert, aber seit Kroulls Schweigen hatte ich es übernommen. Darkes Krankheit hatte allen Übersetzeraufträgen einen Riegel vorgeschoben, und in vielen Gesprächen war mir außerdem klar geworden, dass er nie mit seinem letztendlichen Text oder mit seiner Beziehung zu Rein selbst zufrieden gewesen war. Bei einer unserer letzten Zusammenkünfte – nur wenige Monate vor Darkes Dahinscheiden – drückte er es sogar mit den Worten aus, dass Rein ihm Unlust bereite. Zu diesem Zeitpunkt kannte ich Rein noch nicht persönlich und fand natürlich, dass das ein bisschen merkwürdig klang, aber mit den Jahren hatte ich seine Äußerung immer besser verstehen können und mich Darkes Standpunkt angenähert, das will ich gar nicht leugnen. Ich war Rein zwar nur bei vier, fünf Gelegenheiten begegnet, aber unweigerlich war mir etwas schwer zu Akzeptierendes in seiner Person aufgefallen. Ich habe nie wirklich sagen können, worauf es eigentlich beruhte, aber nichtsdestotrotz war dieses Gefühl vorhanden.
    Ja,
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