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Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels

Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels

Titel: Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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was Sie später bereuen könnten.«
    Mein Vater nickte, plötzlich beschämt.
    »Das ist dieser verdammte Barceló, der mir weiß Gott was eingeflößt hat, und ich bin das Trinken nicht gewohnt …«
    »Macht nichts. Jetzt schlucken Sie ein Natron, und dann schlafen Sie den Rausch aus. Morgen sind Sie wieder frisch wie eine Rose, und keiner erinnert sich mehr dran.«
    »Ich glaube, ich muss mich übergeben.«
    Wir hielten ihn fest, während der Ärmste alles von sich gab, was er getrunken hatte. Ich stützte seine von kaltem Schweiß bedeckte Stirn, und als klar war, dass außer Galle nichts mehr in ihm steckte, setzten wir ihn einen Augenblick auf die Stufen eines Hauseingangs.
    »Atmen Sie tief und langsam ein und aus, Señor Sempere.«
    Mein Vater nickte mit geschlossenen Augen. Fermín und ich wechselten einen Blick.
    »Sagen Sie, wollten Sie nicht bald heiraten?«
    »Morgen Nachmittag.«
    »Na, dann meinen herzlichsten Glückwunsch.«
    »Danke, Señor Sempere. Was meinen Sie, sind Sie so weit in der Lage, ganz allmählich nach Hause zu gehen?«
    Mein Vater nickte.
    »Los, nur Mut, es kann nichts mehr kommen.«
    Ein frischer, trockener Wind wehte und weckte meinen Vater. Als wir zehn Minuten später in die Calle Santa Ana einbogen, war er wieder bei klarem Verstand und verzehrte sich beinahe vor Scham. Wahrscheinlich hatte er sich in seinem ganzen Leben nie betrunken.
    »Davon bitte kein Wort zu niemandem«, flehte er uns an.

    Etwa zwanzig Meter von der Buchhandlung entfernt sah ich jemanden im Hauseingang sitzen. Die große Lampe der Casa Jorba an der Ecke zur Puerta del Ángel zeichnete die Gestalt eines jungen Mädchens mit einem Koffer auf den Knien. Als sie uns sah, stand sie auf.
    »Wir haben Gesellschaft«, murmelte Fermín.
    Mein Vater hatte sie als Erster gesehen. Ich bemerkte etwas Seltsames in seinem Gesicht, eine angespannte Ruhe, die ihn befiel, als wäre er schlagartig wieder nüchtern. Er ging auf das junge Mädchen zu, blieb aber unversehens wie angewurzelt stehen.
    »Isabella?«, hörte ich ihn sagen.
    Ich befürchtete, der Alkohol trübe ihm weiterhin den Verstand und gleich werde er auf offener Straße zusammenbrechen, und ging einige Schritte voraus. Da sah ich sie.

4
    Sie war bestimmt nicht älter als siebzehn. Im Licht der Straßenlaterne lächelte sie schüchtern und deutete mit der Hand einen Gruß an.
    »Ich bin Sofía«, sagte sie mit leichtem Akzent.
    Mein Vater starrte sie sprachlos an, als habe er ein Gespenst gesehen. Ich schluckte und spürte, wie mir ein Schauer den Rücken hinunterlief. Dieses junge Mädchen war das lebende Ebenbild meiner Mutter, wie sie auf den Fotos im Sekretär meines Vaters zu sehen war.
    »Ich bin Sofía«, wiederholte sie verwirrt. »Ihre Nichte. Aus Neapel …«
    »Sofía«, stotterte mein Vater. »Ah, Sofía.«
    Die Vorsehung wollte, dass Fermín bei uns war und die Zügel in die Hand nehmen konnte. Nachdem er mich mit einem Klaps aus dem Schrecken geweckt hatte, begann er dem jungen Mädchen auseinanderzusetzen, dass Señor Sempere ein klein wenig unpässlich sei.
    »Wir kommen nämlich von einer Weinprobe, und der Ärmste wird schon nach einem Glas Vichywasser schläfrig. Beachten Sie ihn einfach nicht, Signorina, normalerweise wirkt er nicht so verdattert.«
    Wir fanden die Eildepesche, die uns die Mutter des Mädchens, Tante Laura, geschickt und worin sie ihr Kommen angekündigt hatte; sie war während unserer Abwesenheit unter der Haustür durchgeschoben worden.
    Oben in der Wohnung bettete Fermín meinen Vater aufs Sofa und hieß mich eine Kanne starken Kaffee machen. Inzwischen unterhielt er sich mit dem jungen Mädchen, erkundigte sich nach der Reise und warf allerhand Belanglosigkeiten hin, während mein Vater langsam ins Leben zurückkehrte.
    Anmutig und mit einem charmanten Akzent erzählte uns Sofía, sie sei abends um zehn im Francia-Bahnhof angekommen. Dort habe sie ein Taxi zur Plaza de Cataluña genommen. Da niemand zu Hause gewesen sei, habe sie in einer nahen Kneipe Zuflucht gesucht, bis sie geschlossen habe. Danach habe sie sich zum Warten in den Hauseingang gesetzt und gehofft, irgendwann werde schon jemand kommen. Mein Vater erinnerte sich zwar an den Brief, in dem ihre Mutter ihr Eintreffen angekündigt hatte, aber so bald habe er sie nicht erwartet.
    »Es tut mir sehr leid, dass du auf der Straße hast ausharren müssen«, sagte er. »Sonst gehe ich nie aus, aber heute war Fermíns Junggesellenabschied …«
    Sofía war
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