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Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels

Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels

Titel: Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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die Tanzfläche, um zum höheren Ruhme Fermíns das Tanzbein zu schwingen.
    Barceló hatte meinen Vater überzeugt, dass der Rum, den er ihm gläschenweise verabreichte, Selters mit zwei Tropfen Montserratwasser sei, und nach kurzem durften wir dem noch nie dagewesenen Schauspiel beiwohnen, meinen Vater engumschlungen mit einer der dienstbereiten Damen tanzen zu sehen, die die Rociíto, eigentliche Seele der Veranstaltung, mitgebracht hatte, um dem Ganzen Glanz zu verleihen.
    »Heiliger Gott«, entfuhr es mir, als ich meinen Vater die Hüften schwenken und das Zusammentreffen mit dem Hintern dieser altgedienten Nachtarbeiterin auf den Taktbeginn synchronisieren sah.
    Barceló verteilte unter den Gästen Zigarren und kleine Zettelchen, die er in einer Druckerei für Kommunions-, Tauf- und Bestattungsanzeigen in Auftrag gegeben hatte. Auf Büttenpapier sah man eine Karikatur Fermíns in Engelstracht und mit zum Gebet gefalteten Händen und die Legende:
Fermín Romero de Torres
19??–1958
Der große Verführer tritt ab
1958–19??
Der Paterfamilias ersteht
    Zum ersten Mal seit langem war Fermín glücklich und heiter. Eine halbe Stunde vor Beginn des Rummels hatte ich ihn zu Can Lluís begleitet, wo uns Professor Alburquerque bezeugte, dass er am nämlichen Morgen auf dem Standesamt gewesen sei, bewaffnet mit dem ganzen Dossier von Dokumenten und Papieren, die Oswaldo Darío de Mortenssen und sein Gehilfe Luisito mit Meisterhand angefertigt hatten.
    »Mein lieber Fermín«, verkündete der Professor, »ich heiße Sie offizell in der Welt der Lebenden willkommen und überreiche Ihnen, mit Don Daniel Sempere und den Freunden von Can Lluís als Zeugen, Ihren neuen, rechtmäßigen Personalausweis.«
    Gerührt studierte Fermín die neuen Papiere.
    »Wie haben Sie dieses Wunder zustande gebracht?«
    »Den technischen Teil ersparen wir Ihnen lieber. Das Einzige, was zählt, ist, dass fast alles möglich ist, wenn man einen echten Freund hat, der bereit ist, alles aufs Spiel und Himmel und Erde in Bewegung zu setzen, damit Sie vorschriftsmäßig heiraten und Kinder in die Welt setzen können, um die Dynastie Romero de Torres weiterzuführen, Fermín«, sprach der Professor.
    Fermín schaute mich mit Tränen in den Augen an und umarmte mich so kräftig, dass ich zu ersticken glaubte. Es beschämt mich nicht, zu sagen, dass das einer der glücklichsten Momente meines Lebens war.

2
    Nach anderthalb Stunden Musik, Trinken und dreistem Schwofen gestand ich mir eine Atempause zu und ging zur Theke, um etwas Alkoholfreies zu holen, da ich das Gefühl hatte, keinen weiteren Tropfen Rum mit Zitrone mehr hinunterzukriegen, offizieller Drink des Abends. Der Kellner schenkte mir ein Tafelwasser ein, und ich lehnte mich mit dem Rücken an die Theke und beobachtete das Treiben. Erst jetzt sah ich am anderen Ende des Tresens die Rociíto. Sie hielt ein Champagnerglas in den Händen und verfolgte mit melancholischem Ausdruck die Party, die sie auf die Beine gestellt hatte. Nach dem zu schließen, was mir Fermín erzählt hatte, musste sie kurz vor ihrem fünfunddreißigsten Geburtstag stehen, aber fast zwanzig Jahre im Geschäft hatten zahlreiche Spuren hinterlassen, und selbst in diesem bunten Schummerlicht wirkte die Königin der Calle Escudellers älter.
    Ich trat zu ihr und lächelte sie an.
    »Rociíto, Sie sind hübscher denn je«, schwindelte ich.
    Sie hatte sich in ihre prächtigste Gala geworfen, und man erkannte die Arbeit des besten Friseursalons der Calle Conde del Asalto, und doch hatte ich den Eindruck, sie sei noch nie so traurig gewesen wie an diesem Abend.
    »Geht es Ihnen gut, Rociíto?«
    »Schauen Sie ihn sich an, bis auf die Knochen abgemagert und kriegt doch nicht genug vom Tanzen.«
    Ihre Augen hingen an Fermín, und da wurde mir klar, dass sie in ihm nach wie vor den Helden sah, der sie aus den Klauen eines Bonsaimackers befreit hatte und vermutlich nach zwanzig Jahren Straßenarbeit der einzige Mann war, den kennenzulernen sich gelohnt hatte.
    »Don Daniel, ich wollte es Fermín nicht sagen, aber ich geh morgen nicht zur Hochzeit.«
    »Was sagst du da, Rociíto? Fermín hat dir einen Ehrenplatz reserviert …«
    Sie schaute zu Boden.
    »Ich weiß, aber ich kann nicht hingehen.«
    »Warum denn?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort ahnte.
    »Weil es mir sehr weh tun würde, und ich will, dass Señor Fermín glücklich ist mit seiner Señora.«
    Sie hatte zu weinen begonnen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte,
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