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Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels

Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels

Titel: Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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und so umarmte ich sie.
    »Ich habe ihn immer geliebt, wissen Sie. Seit ich ihn kennengelernt habe. Ich weiß schon, dass ich nicht die Frau bin für ihn, dass er mich sieht als …, nun, eben, als die Rociíto.«
    »Fermín hat dich sehr lieb, das darfst du nie vergessen.«
    Sie entzog sich mir und trocknete verschämt die Tränen ab. Dann lächelte sie und zuckte die Schultern.
    »Verzeihen Sie, ich bin ein Dummchen, und wenn ich zwei Tropfen trinke, weiß ich nicht mehr, was ich sage.«
    »Das macht doch nichts.«
    Ich reichte ihr mein Glas Wasser, und sie ergriff es.
    »Eines Tages merkt man, dass die Jugend vorbei ist und der Zug abgefahren, wissen Sie.«
    »Es gibt immer wieder Züge. Immer.«
    Die Rociíto nickte.
    »Aus diesem Grund gehe ich nicht zur Hochzeit, Don Daniel. Vor einigen Monaten schon habe ich einen Herrn aus Reus kennengelernt. Ein guter Mensch, Witwer. Ein guter Vater. Er betreibt einen Schrotthandel, und immer wenn er nach Barcelona kommt, besucht er mich. Er hat um meine Hand angehalten. Keiner von uns beiden macht sich Illusionen, wissen Sie. Allein alt zu werden ist sehr hart, und ich weiß, dass ich nicht mehr den Körper habe, um weiter auf der Straße zu arbeiten. Jaumet, der Herr aus Reus, hat mich gebeten, mit ihm zu verreisen. Die Kinder sind bereits ausgeflogen, und er hat sein ganzes Leben lang gearbeitet. Er sagt, er will noch etwas von der Welt sehen, bevor er abtritt, und hat mich gebeten mitzukommen. Als seine Frau, nicht als Wegwerfhure. Das Schiff fährt morgen sehr früh. Jaumet sagt, ein Schiffskapitän hat die Befugnis, auf hoher See zu trauen, und sonst suchen wir uns in irgendeinem Hafen, den wir anlaufen, einen Geistlichen.«
    »Weiß es Fermín?«
    Als hätte er uns aus der Ferne gehört, blieb Fermín auf der Tanzfläche stehen und schaute zu uns rüber. Er streckte die Arme nach der Rociíto aus und setzte dieses liebebedürftige Trägheitsgesicht auf, mit dem er so viel Erfolg gehabt hatte. Die Rociíto lachte, schüttelte leise den Kopf, und bevor sie für ihren letzten Bolero zu der Liebe ihres Lebens auf die Tanzfläche ging, drehte sie sich um und sagte:
    »Passen Sie gut auf ihn auf, Daniel. Fermín gibt es nur einen.«
    Das Orchester hatte aufgehört zu spielen, und die Tanzfläche öffnete sich, um die Rociíto durchzulassen. Fermín nahm sie bei den Händen. Langsam ging in der Paloma das Licht aus; zwischen den Schatten wuchs ein Scheinwerfer und zeichnete mit seinem Strahl zu Füßen des Paars einen dunstigen Lichtkreis. Alle anderen traten zur Seite, und langsam setzte das Orchester mit dem traurigsten je komponierten Bolero ein. Fermín umschlang die Taille der Rociíto. Sich in die Augen schauend, fern von der Welt, tanzten die Geliebten dieses für immer verlorenen Barcelona zum letzten Mal in enger Umarmung. Als die Musik verklang, küsste Fermín sie auf die Lippen, und die Rociíto streichelte in Tränen aufgelöst seine Wange und ging langsam auf den Ausgang zu, ohne sich zu verabschieden.

3
    Das Orchester fing diesen Moment mit einer Guaracha auf, und Oswaldo Darío de Mortenssen, den das Liebesbriefeschreiben zum Melancholie-Enzyklopädiker gemacht hatte, ermunterte die Gäste, wieder die Tanzfläche einzunehmen, als wäre nichts geschehen. Fermín kam ein wenig niedergeschlagen zur Theke und setzte sich neben mich auf einen Hocker.
    »Geht es Ihnen gut, Fermín?«
    Er nickte schwach.
    »Ich glaube, ein wenig frische Luft würde mir guttun, Daniel.«
    »Warten Sie hier auf mich, ich hole unsere Mäntel.«
    Wir spazierten durch die Calle Tallers auf die Ramblas zu, da erblickten wir etwa fünfzig Meter vor uns eine vertraute Gestalt, die langsam einherschritt.
    »Aber Daniel, das ist doch Ihr Vater!«
    »Wie er leibt und lebt. Stockbesoffen.«
    »Das Letzte, was ich auf dieser Welt zu sehen erwartet hätte«, sagte Fermín.
    »Und ich erst!«
    Wir beschleunigten unsere Schritte, bis wir ihn eingeholt hatten. Als er uns erblickte, lächelte er uns aus glasigen Äuglein an.
    »Wie spät ist es denn?«, fragte er.
    »Sehr spät.«
    »Das habe ich mir eben auch gedacht. Hören Sie, Fermín, ein fabelhaftes Fest. Und die Mädchen! Da gab es ja ein paar Hintern, die eine Kriegserklärung wert wären.«
    Ich verdrehte die Augen. Fermín hakte meinen Vater unter und lenkte seine Schritte.
    »Señor Sempere, ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so etwas zu Ihnen sagen würde, aber Sie leiden an einer akuten Alkoholvergiftung und sagen besser nichts,
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