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Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
Autoren: Tobias O. Meißner
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Hausdächer konnte er Büttel mit Armbrüsten ausmachen. Das war eine ganz neuartige Vorsichtsmaßnahme, so etwas hatte er bei einer Hinrichtung noch nie gesehen. Der Verurteilte musste sich im Gefängnis wirklich ganz außerordentlich ungebührlich betragen haben.
    Beim Prozess war nichts davon zu bemerken gewesen. Er interessierte sich für solche Fälle, in denen Individuen sich mit einer Übermacht anlegten. Das Aufbegehren gegen eine Mehrzahl schien ihm dem Studium des Menschseins eine hochinteressante Facette hinzuzufügen.
    Während des Prozesses hatte der Unhold – so war er auch dort schon bezeichnet worden – überwiegend mit gesenktem Kopf dagestanden und ausschließlich geschwiegen. Er hatte ausgesehen, als würde er im Stehen schlafen, doch Indencron war den Verdacht nicht losgeworden, dass er sehr aufmerksam alles um sich herum registrierte, überwiegend durch das Gehör. Er hatte sich sogar mit einem Kommilitonen darüber gestritten, der der festen Überzeugung gewesen war, der Unhold sei nicht nur brutal, sondern auch blöde. Obschon der Unhold beim Prozess keine Kapuze getragen hatte, war von seinem Gesicht aufgrund der Haare nicht viel zu sehen gewesen. Es konnte aber durchaus sein, dass es sich bei ihm um einen Mann handelte, der den Frauen gefiel. Die Reaktionen der Damen auf der Prozessbalustrade wie nun auch Chaereas interessiertes Vorlehnen schienen jedenfalls diese Theorie zu unterstützen.
    Jetzt zwang man ihn auf den Richtblock. Er wehrte sich nicht so, wie es ihm vielleicht möglich gewesen wäre. Zwei der Büttel drängten ihn mit Stäben in die Knie und zerrten seinen Kopf und Oberkörper auf den kerbigen, schwarz patinierten Block. Die Kapuze würde er aufbehalten. Sie war eine Vorsichtsmaßnahme. Früher war es oftmals vorgekommen, dass den Geköpften Speichel aus dem Mund oder Rotz aus der Nase spritzte. Man wollte dies den Schaulustigen der ersten Reihe ersparen und ließ den Kopf deshalb adrett eingepackt in den Fangkorb plumpsen.
    Der Henker stieß noch einmal weithin vernehmlich in sein Horn, damit auch die letzten Schwätzer begriffen, dass es nun ernst wurde. Dann stiefelte er breitbeinig zu seinem riesenhaften Beil und zog dieses mit einem vernehmlichen Geräusch aus dem Holzklotz. Trotz seiner hübschen goldenen Maske, die den berühmten Gleichgültigen Jüngling darstellte, fand Indencron, dass der Henker weitaus brutaler und blöder wirkte als der Delinquent. Man musste aber wahrscheinlich auch beides sein, um seinen Lebensunterhalt mit dem Durchhauen von wehrlosen Hälsen bestreiten zu können.
    Links neben Indencron wurde eine Vertreterin des Hochadels ohnmächtig. Die Aufregung war wohl zu viel. Halt: Indencron musste sich korrigieren – es war ein Mann , der dort seufzend in sich zusammensackte. Ein lang gelockter, weiß getünchter Mann.
    Indencron schmunzelte. Der Hochadel, der nicht zeitweilig zu Vergnügungen außerhalb der Stadt weilte, durfte sich eine Hinrichtung nicht entgehen lassen. Es musste eine große Belastung sein, unbedingt bei allem dabei gewesen seinzu wollen.
    Der Henker ließ sein Beil angeberisch in der Hand kreisen. Die Schneide surrte metallisch. Die beiden Büttel, die den Verurteilten bis eben noch auf den Richtblock gedrückt hatten, ließen diesen los und entfernten sich zwei Schritte, um nicht besudelt zu werden.
    Der Henker stellte sich neben den Richtblock, seufzte oder rülpste vernehmlich und hob das Beil.
    Totenstille setzte ein. Dies war immer der aufregendste aller Augenblicke. Indencron sah, dass Chaereas Dekolleté beinahe aus seinen Verschnürungen platzte, so heftig atmete die Ärmste. Die Axtklinge spiegelte in der Sonne. Es war ein allerliebster, wolkenloser Tag. Gestern hatte es noch geregnet. Heute hielt auch der Himmel, wie an dieser Hinrichtung interessiert, den Atem an.
    Jetzt kam das Beil herab.
    Die Menge schrie erwartungsvoll. Die Stimme der Menge war hoch, eher weiblich als männlich.
    Der Delinquent richtete sich auf. Ob er sich mit den Oberarmmuskeln stützte oder die Bewegung ganz alleine aus dem Bauch heraus stemmte, war nicht zu erkennen. Das Beil jedenfalls schnitt haarscharf an seinem Kapuzengesicht vorbei und blieb unblutig im Richtblock stecken.
    Selbst die Vögel über dem Marktplatz schienen in diesem Moment im Flug innezuhalten.
    Der Verurteilte schnellte sich aus den Knien in den Stand und wandte sich halb um, sodass seine hinter seinem Rücken gefesselten Hände die Beilschneide berührten.
    Der Henker
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