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Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
Autoren: Tobias O. Meißner
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er sich noch erinnern.
    Aber was er sich hatte einprägen wollen, das hatte er ganz vergessen.
    Die Wiese breitete die Arme aus. Ganz hinten, am Ende der Welt, kauerte ein Gehöft. Dort mochte es Schatten geben, einen Brunnen, Wasser.
    Er rannte wieder ein paar Schritte, dann gaben seine Beine nach. Seine linke Wade war nass vom Blut. Je mehr er sich bewegte, desto mehr. Je weniger er sich wehrte, desto mehr.
    Er wälzte sich auf den Rücken. Knurrend, mit gebleckten Zähnen.
    Etwas hinderte ihn daran, auf dem Rücken zu liegen. Etwas stemmte ihn halbhoch, sodass seine Haare ihm ins Gesicht fielen. Etwas hämmerte an ihm. Ein unerbittlicher Schlag. Forschend im Gestein nach einer Ader, die noch etwas enthielt. Er schloss die Augen. Gegen das Sonnenlicht leuchteten seine Lider rot.
    Er versuchte zu lachen oder zu schlafen. Alles war ihm gleich.
    Etwas stupste gegen ihn. Eine weiche, feuchte Nase. Ein Rind. Mit einem Glöckchen um den Hals. Erst jetzt konnte er das Glöckchen hören. Auch das Rind hatte er nicht näher kommen gehört. Aber das Rupfen des Grasens konnte er ganz deutlich hören. Rupf-rupf-rupf. Rupf-rupf-rupf. Und dabei kaute es und schaute ihn nicht mehr an, mit langen Wimpern, schönen, ruhigen Augen.
    Er stemmte sich hoch. An seinem Rücken hing ein Volk, das an ihm zog. Ein Volk aus Meißeln.
    Das Rind flüchtete vor ihm, als er schwankend aufstand.
    Es sah nicht aus, als wäre es zum Rennen geboren.
    Er stand, umgeben von Grün. Der Wind ordnete die Gräser zu Wellen. Wolkenschatten wischten über ihn hinweg. Sie waren gigantisch. Die größten Gebilde, die er jemals gesehen hatte. Tausendfaltig standen sie am Himmel. Leuchtendes Weiß. Schwebende Massive.
    Es wurde dunkel, und es wurde hell, und es war noch immer derselbe Tag.
    Er setzte sich selbst in Bewegung, im Verhältnis zur übrigen Welt.
    Schnürte durch höheres Gras, das Getreide war.
    Er hatte Hunger. Im Kerker hatte es fast nie etwas zu essen gegeben, und wenn, dann nur einen stinkenden Schleim aus Bohnen und Reis. Er war in einem Kerker gewesen. Aber wo war der Kerker jetzt hin? Hatte sich verflüchtigt. Hatte vielleicht niemals wirklich existiert.
    Er lachte, rannte wieder, weil er es anders nicht aushielt. Das Gehöft zappelte näher.
    Es wurde dunkel, und es wurde hell, und es war noch immer derselbe Tag.
    Das Getreide ließ sich nun nicht mehr hinhalten. Es kam hoch und fasste nach ihm und rang ihn zu Boden. Er wehrte sich, doch alle Waffen, die jemals in seinem Besitz gewesen waren, hatten sich ebenfalls verflüchtigt, hatten vielleicht niemals wirklich existiert.
    Er öffnete den Mund. Schloss die Augen. Sein Bewusstsein hatte vielleicht niemals wirklich existiert.
    Es dunkelte. Tiere näherten sich ihm, schnupperten. Feldhamster. Ein Hase, der in der Nähe sein Geschäft machte. Sehr viel später ein streunender Kater mit einem Fleck rechts der Nase. Der Kater tatzte sogar nach dem Liegenden, aber nur aus Neugier, weil hier sonst nie jemand lag.
    Es wurde hell. Ein neuer Tag brach an. Menschen schwatzten auf dem Hof. Spannten einen Wagen an. Fuhren davon. Bemerkten den Liegenden nicht.
    Er erwachte. Wälzte sich herum, bis er den Bolzen wieder spürte. Beinahe hätte er geschrien.
    Setzte sich auf. Der Himmel war ganz anders, die Wolken kleiner, zerstoben, ihrer Macht beraubt.
    Ihm war schlecht vor Hunger und Durst. Sein Kopf dröhnte vor Schmerzen. Sein linker Arm war taub, die Hand, die Finger. In der Schulter wütete ein Tier, das sich nach drinnen fraß, aber er konnte nichts erreichen, sosehr er auch die rechte Hand überstreckte.
    Er erhob sich. Käfer und Grashüpfer stürzten von ihm. Nur ein paar Stechmücken hatten sich festgesaugt. Er schwitzte. Atmete rasselnd.
    Er betrat das Gehöft. Fand einen Brunnen. Förderte Wasser und soff wie ein Pferd. Im Haus musste es etwas zu essen geben.
    Er trat durch die Tür. Es war niemand zu sehen.
    Er suchte nicht lange, sondern folgte einfach seiner Nase. Es gab eine Kammer, in der Würste lufttrockneten und Schinken. Er schlug seine Zähne in den Schinken, der sehr hart war. Dennoch gelang es ihm, faserige Brocken aus dem Fleisch zu reißen. Eine Kette weißschimmliger Würste hängte er sich um den Hals. Und stolperte wieder nach draußen. Innen war es viel zu dunkel gewesen, außen viel zu hell. Er wischte nach der pochenden Sonne, verfehlte sie, stürzte beinahe, fing sich aber.
    Vom Gehöft führte ein Weg in den schattigen Wald. Gerne hätte er sich mit beiden Händen den
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