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Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
Autoren: Tobias O. Meißner
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ein. Ich hab dich schon einmal erwischt, in die Schulter, und jetzt gebe ich dir den Rest.« Der Monolog des Schützen steigerte sich mehr und mehr ins Besessene hinein. Möglicherweise war der andere Schütze, den er eben aus Versehen erschossen hatte, nicht nur sein Kamerad, sondern sogar sein bester Freund gewesen.
    Der Geflohene musterte ihn und seinen Stand. Der Schütze war beinahe fertig mit Nachladen. Sein Gemurmel war nun unverständlich, aber er grinste in Erwartung eines großen persönlichen Triumphes.
    Der Geflohene nahm das Henkersbeil in beide Hände, holte damit aus, drehte sich einmal um die eigene Achse, um genügend Schwung zu holen, und schleuderte das Beil über den Marktplatz in Richtung des zweiten Schützen.
    Unter keinen Umständen war ein dermaßen großes Beil eine präzise Wurfwaffe. Der Schütze duckte sich zwar mit einem überraschten Ausdruck im Gesicht, doch das Beil ging selbstverständlich fehl, deutlich über den Schützen hinweg, der nun wieder zu grinsen begann. Mehrere Schritt über ihm krachte das massive Beil gegen die Dachschräge und schlug ein wie ein Katapultgeschütz. Ziegel barsten, brachen, wurden einwärts gedrückt. Ein Dachbalken splitterte. Etliche Ziegel begannen zu rutschen, lösten eine Lawine aus halbierten und zertrümmerten aus, die stetig breiter wurde. Mittendrin das Beil selbst, das – mit seiner Klinge abwärts schwingend wie ein Pendel – auf den Standvorsprung des Schützen zurutschte. Der Schütze beachtete das Getöse zu spät. Er hatte schon anlegen wollen, denn er war mit Nachladen fertig. Als er sich jetzt umwandte, erfasste ihn die Lawine aus Schutt und Henkerswerkzeug. Es gab auch auf dieser Plattform kein Geländer und keine Brüstung. Die Lawine spülte dem Schützen gegen Füße, Waden und Knie und riss ihn mit sich. Kreischend ließ er die Waffe fallen und versuchte sich ins Dach zu krallen, doch alles bewegte sich abwärts, auch er selbst. Sein Schrei in die Tiefe wurde vom Getöse der unten zerplatzenden Schindeln beinahe noch übertönt.
    Nur unter Mühen riss Indencron den Blick von dem rechts abgestürzten Schützen und schaute wieder nach links oben, wo der erschossene Armbrustmann noch immer saß. Von dem Flüchtenden war nichts mehr zu sehen. War er so schnell die Strickleiter hinauf und durch das Fenster hindurch? Nein. Wahrscheinlich hatte er die Strickleiter nur benutzt, um außen am Dach hochzukommen, und sich nicht erst umständlich durch das schmale Fenster gequetscht, sondern war weiter hoch zum First und darüber hinweg. Er war nun auf der anderen Seite, dem Marktplatz abgewandt, unbewaffnet, angeschossen, aber frei.
    Welw Indencron blieb einfach sitzen, bis nach und nach neue Schaulustige sich einfanden, um das Blutbad zu begutachten.
    Überall lagen Leichen.
    Die Musik des Festmarktes war vollständig zum Erliegen gekommen, und es wirkte, als würde sie so bald nicht wieder einsetzen.
    Um den Tod zu begehen, waren die Menschen gekommen.
    Sie hatten bekommen, was sie begehrten.

MiSSaCHTeN
     
    Er konnte den Bolzen in seiner Schulter nicht erreichen.
    Sosehr er sich auch krümmte und drehte, der Bolzen steckte im blinden Raum, im Unfassbaren fest und störte. Schmerzen strömten von ihm aus wie Klänge von einem durchdringenden Sänger.
    Er befand sich auf einer Landstraße. Hinter ihm, wenn er sich umwandte, schwankte eine Stadt. Zur Stadt führte, kaum zu erkennen, eine Fährte blutiger Tropfen. Etwas rann ihm über den ganzen Rücken. Er lehnte sich gegen einen Baum, in dessen borkiger Rinde hundert Spinnen auf ihren Netzflächen lauerten.
    Es wurde dunkel, und es wurde hell, und es war noch immer derselbe Tag.
    Er beschloss zu rennen.
    Vielleicht war der Schmerz langsamer als er.
    So rannte er. Verließ den Weg, als voraus ein Wagen sichtbar wurde. Rannte querfeldein. Blumen knickend, durch Gräser schürfend wie durch grüne Brandung.
    Keuchend ließ er sich nieder, auf Knie und Ellenbogen, das lange Haar im Gras. Ameisen wechselten von Halmen zu Haaren, krabbelten zu ihm empor. Er beobachtete.
    Richtete sich auf. Die Sonne stach hinter Wolken hervor nach ihm. Ein goldener Speer hinter einem Schild. Er wehrte den Stoß ab. Sein linker Arm, in dessen Schulter etwas Schweres steckte, war langsamer als der rechte. Er musste sich das merken. Im Getümmel einer Schlacht konnte das von Bedeutung sein.
    Es wurde dunkel, und es wurde hell, und es war noch immer derselbe Tag.
    Er hatte sich etwas einprägen wollen, daran konnte
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