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Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
Autoren: Tobias O. Meißner
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Wandernden Feuern.
    Er musste aus dieser Stadt hinaus, um in den Offenen Ländern etwas Würdigeres zu finden. Einen Kampf, und wenn es ein letzter war.
    Noch einmal schüttelte er den Kopf.
    Sie hatten sogar vergessen, seine Füße anzuketten. Weil sie das für vernachlässigbar hielten. Weil doch sein Hals und seine Hände angekettet waren. Das musste reichen, dachten sie wohl.
    Er schaute hinauf in den Himmel. Der war unvergleichlich wohlgesonnen.
    Er konnte Vögel sehen, die überallhin fliegen konnten. Auch er war einmal geflogen und hatte alles von oben gesehen. Die unendliche Wildheit der Welt, in der Städte nichts anderes sein konnten als Schutthaufen, die den Blick beleidigten.
    Er atmete. Die Luft fühlte sich an, als glitte sie mit halb warmen Fingern in seinen Kopf und streichelte ihn auch innen. Es roch gewiss nach etwas, aber er wusste nicht, wonach.
    Sein Gesicht verzerrte sich. Es war ein Mienenspiel der Sehnsucht.
    Er wartete nicht ab, bis man ihn auf den Richtblock zwang.
    Er spannte seine schmerzenden Muskeln an und zerrte an der Kette, so jäh und kraftvoll, dass der Eisenring mitsamt seiner Verschraubungsplatte aus dem Holzbühnenboden barst. Splitter loderten umher. Jetzt schwang der Barbar das klirrende Metall, ließ es im Rund rauschen und singen. Am Ende hing eine Metallplatte mit halb gelösten Schrauben darin – eine furchtbarere Waffe hätte sich kein Tüftler ausdenken können. Die Armbrustschützen hatten keine Chance. Er erwischte sie alle, einen nach dem anderen. Der Henker stand dabei unschlüssig im Weg herum. Ihn benutzte er als Deckung, sprang hoch und führte die rasende Kette über die ungerührte Henkersmaske hinweg gegen die drei letzten Schützen.
    Der Henker winselte.
    Aufruhr.
    Menschen flüchteten, andere stürmten heran.
    Der Barbar packte die Kette noch fester und ließ sie noch schneller rotieren, ein mächtiges, unheilverkündendes Geräusch, immer im Kreis. Die Köpfe der Getroffenen platzten auf wie zertretene Beeren. Einem zerbarst das Schulterblatt, als bestünde es aus Kalkstein. Blut sprühte. Das Blut der anderen, wie immer.
    Der Henker wurde ohnmächtig und sank auf sein hübsches Maskengesicht.
    Die vorstürmenden Büttel sahen ihre Kameraden zerrissen werden, zweifelten, verhielten, behinderten sich und wurden ein umso leichterer Fraß der Kette. Sie kaute sich förmlich durch Leiber hindurch. Ein schauerliches, reißendes Geräusch. Hungrig wie ein wildes Tier.
    Der Barbar sprang von der Hinrichtungsbühne, beinahe schwebte er unter dem Kreisen der Kette, die ihn hatte binden sollen. Er ließ sie weiter tanzen und bahnte sich so einen Weg durch das kreischende, kriechende, krüppelige Volk. Seine Hände waren noch immer gefesselt, alles schmerzte ihm, der Himmel drehte sich sogar über der Kette, aber das war unwichtig, denn das hinderte ihn nicht am Imschwunghalten des schweren Metalls, das einen Abstand bedeutete, einen todbringenden Abstand zwischen ihm und der Welt. Leichtere Marktbuden zerflatterten unter dem Ansturm der Verschraubungsplatte. Auslagen gingen in Fetzen. Apfelstücke spritzten umher. Kerne, Fleisch und Schalen.
    Vom Blut der anderen besprüht wie von einem schamanistischen Ritual ging der Barbar über den Markt. Alles, auch die Aufbauten, wich vor ihm und seiner rasend schnell kreisenden Kette zurück.
    Einige Menschen senkten den Blick, um von ihm nicht gesehen zu werden, zwei oder drei ließen sich sogar zu Boden fallen und verharrten im Gestus der Unterwürfigkeit, und er sah sie tatsächlich nicht. Er beachtete sie nicht. Er wollte ganz woandershin.
    Er ging eine Straße hinunter, langsamen, gemessenen Schrittes. Sogar Hunde wichen vor ihm in Nebengassen aus. Sie fürchteten das Heulen, selbst das Winseln der Kette.
    Fensterscheiben klirrten. Die Kette kam ihnen nahe, berührte sie jedoch nur mit ihrem Hauch.
    Mauersteine schienen Funken zu sprühen, aber das konnte eine Widerspiegelung der Sonne sein.
    Die Kette schien sich von selbst zu bewegen. Dass er etwas tun musste, um sie am Kreisen zu halten, war kaum noch zu erkennen.
    Ein rußiger Schmied am Ortsausgang löste ihm die Hand- und Halsfesseln, um das Leben seines Sohnes zu bewahren.
    Der Barbar schüttelte sich und ging, die Kette nun tot hinter sich herschleifend wie eine zerpresste Würgeschlange.
    In seinem Rücken kehrte zuerst Stillschweigen ein und dann das Bedürfnis, sämtliche Opfer erkennen und ihren trauernden Familien zuordnen zu können.
    Irgendwann ließ er die
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