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Bannkrieger

Bannkrieger

Titel: Bannkrieger
Autoren: Bernd Frenz
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getrieben, beschleunigte er seine Schritte, um das letzte Stück des Weges schnell hinter sich zu bringen. Bald trennten ihn nur noch wenige Längen von der Anhöhe, die ihn zu seinem Dorf hinabführte. Noch konnte er, durch die Erdmassen abgeschirmt, die Hütten weder sehen noch etwas von ihren Bewohnern hören, dennoch brandete Panik in ihm hoch.
    Die letzten Schritte taumelte er den Hügel hinauf, von einer völlig widersinnigen, doch dafür umso tieferen Ahnung gepackt, dass in seiner unheiligen Abwesenheit ein Unglück über das Dorf hereingebrochen sein mochte.
    Kaum hatte er die Kuppe der Anhöhe erreicht, die ihn von seinem Flecken Heimat trennte, da hörte er das laute Wehklagen der Menschen, das zuvor wie unter einer bronzenen Glocke versteckt gewesen war.
    Unten auf dem Marktplatz hatte sich die Dorfgemeinschaft um eine Eiche versammelt, in deren durch die Dürre kahl gewordenen Ästen drei seltsam verdrehte Schatten verfangen waren. Obwohl die im grellen Gegenlicht hängenden Formen merkwürdig vertraut wirkten, war etwas an ihnen seltsam falsch , so als hätte irgendjemand oder irgend etwas eine bekannte Silhouette mit aller Gewalt gepackt, auseinandergerissen, durcheinandergewirbelt und an den falschen Stellen wieder zusammengefügt.
    Als Ansgar endlich erkannte, um was es sich bei diesen seltsamen Baumfrüchten handelte, die bereits von einer Schar gieriger Raben angeflogen wurden, durchfuhr ihn nur ein Gedanke: Vater! Bitte lasst Vater nicht darunter sein, ihr Götter!
    Ein Aufschrei entrang sich seiner Brust, erstarb jedoch, bevor er ihm über die Lippen kam. Obwohl ihm heiße Tränen die Sicht nahmen, eilte Ansgar in halsbrecherischem Tempo den Hang hinunter, um sich über etwas Gewissheit zu verschaffen, von dem er mit aller Verzweiflung hoffte, dass es nicht zutreffen möge. Mit fliehenden Schritten näherte er sich dem Baum und prallte auf die darum versammelte Mauer aus trauernden Menschen, in die er rücksichtslos eintauchte.
    Die Schulter voran, drängte er jeden brutal zur Seite, der ihm im Wege stand. Rücksichtslos machte er von Ellenbogen und Fäusten Gebrauch, teilte unzählige Stöße und Knüffe aus und steckte mindestens ebenso viele Nackenschläge von erbosten Umstehenden ein. Schließlich kämpfte er sich, die um ihn herum ausgestoßenen Flüche ignorierend, ganz nach vorn.
    Der sich ihm dort bietende Anblick traf ihn erneut wie ein Schlag mit dem Schmiedehammer. Aus der Nähe betrachtet, glichen die Leichen jenen Strohpuppen, die sie zum Winterende auf den Feldern verbrannten, um die bösen Geister der dunklen Jahreszeit zu vertreiben. Doch die grotesk verdrehten Formen, die sich dort über ihm im Baum befanden, trugen keine verzerrten Dämonenmasken, sondern bekannte Gesichter. Ihre Körper bestanden nicht aus trockenen Halmen, nein, es waren menschliche Knochen, die man gebrochen hatte, sodass die Gestalten dort im Baum wie vom Sturm misshandelte Vogelscheuchen wirkten.
    Obwohl die Gesichter vom Todesschmerz verzerrt waren, erkannte Ansgar den Dorfschulzen wieder sowie zwei Bauern, denen die Dürre besonders übel mitgespielt hatte, da ihre an den Feldern gelegenen Bäche ausgetrocknet waren. Trotz des Grauens über ihm verspürte Ansgar ein beschämendes Gefühl der Erleichterung, als er erkannte, dass seine Familie offensichtlich verschont geblieben war.
    Hastig sah er sich nach seinen Eltern um, und plötzlich tauchte sein Vater aus der Menge vor ihm auf. Erfreut wollte der Junge ihn in die Arme schließen, da verabreichte dieser ihm eine kräftige Ohrfeige. Erschrocken wich Ansgar zurück. Weniger weil ihn der körperliche Schmerz verletzte – den war er von seinem Vater gewohnt –, sondern weil ihn dessen Zorn angesichts der Situation überraschte.
    »Aber … was ist denn …? Warum schlägst du mich?«
    Einen Moment sah es so aus, als wollte sein Vater erneut ausholen, doch dann hielt er inne, und es brach bitter aus ihm hervor: »Dich hätten sie mitnehmen sollen und nicht deinen Bruder! Er hat mir wenigstens immer bei der Feldarbeit geholfen und nicht seine Zeit mit Träumereien vertrödelt. Nun bin ich ganz allein und werde im nächsten Jahr sicherlich ebenso als Warnung für die anderen am Baum enden. Du bist dir ja zu fein, mir auf dem Feld zu helfen.«
    Tränen schossen Ansgar in die Augen, denn die Worte seines Vaters trafen ihn härter als alle Schläge, die er je von ihm erhalten hatte. Natürlich war es nichts Neues für ihn, dass die Eltern seinen Bruder Thiese
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