Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bannkrieger

Bannkrieger

Titel: Bannkrieger
Autoren: Bernd Frenz
Vom Netzwerk:
vorzogen, weil dieser stets die ihm aufgetragenen Aufgaben widerspruchslos erfüllte, egal, wie sinnlos manche der Arbeiten auch waren. Doch die in aller Öffentlichkeit erhobenen Anschuldigungen des Vaters waren einfach ungerecht. Ansgar hatte immer, wenn auch widerwillig, seinen Teil der Feldarbeit getan. Wenn in diesem Jahr nicht genug Ernte eingefahren wurde, so lag dies am fehlenden Regen und nicht daran, dass er lieber auf der Laute spielte, statt mit wehenden Tüchern über den Acker zu laufen, um hungrige Raben zu vertreiben, die nach dem ohnehin vertrockneten Saatgut gruben.
    Obwohl viele der umstehenden Dorfbewohner ihn ebenfalls für einen Taugenichts hielten, ergriffen einige auch für ihn Partei, um ihn vor den ungerechten und verletzenden Worten in Schutz zu nehmen. Sein aufgebrachter Vater ließ sich jedoch nicht beruhigen, im Gegenteil. Wie immer, wenn man nicht seiner Meinung war, steigerte er sich in einen Wutanfall, bis er schließlich fast mit seinem Nachbarn Eger aneinandergeriet, der ihm vorhielt, er solle gefälligst glücklich sein, dass ihm noch ein Sohn verblieben war.
    Die Auseinandersetzung ging an dem vor sich hinstarrenden Ansgar vorbei, trotzdem erfuhr er bei diesem Streitgespräch, was am Morgen vorgefallen war. Die Schergen des Lehnsherrn waren ohne Vorwarnung in das Dorf eingedrungen und hatten alles Essbare geplündert, dessen sie habhaft werden konnten. Die Brutalität, mit der sie dabei vorgingen, ließ darauf schließen, dass sie längst wussten, dass ihre überzogenen Abgabenforderungen nicht zu erfüllen waren. Trotzdem wurden die Bauern beschuldigt, dass sie die Ernte versteckt hielten, um sich so vor der jährlichen Steuer zu drücken.
    Daraufhin hatten die Landsknechte den Schulzen und die beiden ärmsten Bauern ausgepeitscht und sie gerädert und sie als abschreckendes Beispiel in die Eiche am Marktplatz gehängt, und unter dem Wehgeschrei der Mütter waren anschließend die wehrfähigen Jungen des Dorfes ins Heer des Grafen verschleppt worden, um die Schulden ihrer Angehörigen zu begleichen.
    Seit der Mittagszeit war auch der letzte der drei Sterbenden verstummt, doch bisher hatte niemand gewagt, ihre Leichen aus dem Baum zu holen.
    Die bizarren Früchte der Eiche waren indessen der hungernden Vogelwelt nicht verborgen geblieben. In Erwartung einer seltenen Speisung zogen dunkle Scharen von Raben, Krähen und anderem aasfressenden Vogelvieh heran, die sich über dem Marktplatz in so dichten Wolken zusammenzogen, dass sich die Sonne zu verfinstern schien. Während unter ihnen das Gewitter der streitenden Menge anschwoll, ließen sich die mutigsten der schwarz Gefiederten bereits auf den Ästen nieder und wurden nur noch vereinzelt durch Steinwürfe wieder vertrieben.
    Ansgar verspürte keine Lust, sie bei ihrem Festmahl zu beobachten. Er wollte auch nicht weiter dem Gejammer und Gebrüll lauschen, in dem sich die Hilflosigkeit der Umstehenden äußerte. So wandte er sich einfach ab und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen, unbemerkt aus dem Dorf.
    Nur seine Laute nahm er mit.

2.
     
    Vier Tage und vier Nächte wanderte er, um zur Burg des Raubgrafen zu gelangen. Er lebte von Wurzeln und Beeren, die er im Wald fand, und von dem wenigen, das er bei einigen Reisenden erbettelte.
    Am Morgen des fünften Tages stand er schließlich vor dem Burgtor, hinter dem Bruder und Freunde gefangen gehalten wurden. Er hatte sich abends zuvor notdürftig an einem Tümpel gereinigt, was sich aber als überflüssig erwies, da noch weit heruntergekommeneren Gestalten der Eintritt gewährt wurde.
    Ansgar war das erste Mal im Leben so fern der Heimat. Weiter als bis zum großen Markt in Gorasch, zwei Dörfer den Fluss hinauf, war er nie gekommen. Trotz des Aufruhrs, der in seinem Inneren wühlte, konnte er ein kleines Gefühl der Enttäuschung nicht verbergen. Er hatte sich die Burg des Lehnsherrn stets als steinernes Bollwerk auf einem mächtigen Felsen vorgestellt, mit goldenen Dächern und einen mit hellem Marmor von der Weißen Küste gepflasterten Hof.
    Doch in Wirklichkeit lag die Festung – als mehr konnte man diese Wehranlage wohl nicht bezeichnen – in einer Ebene und war hauptsächlich aus Holz und Lehm, und statt erhabenen Mauerwerks gab es nur ein hüfthohes Fundament mit einer doppelten Palisadenreihe. Der um die Festungsmauern gezogene Graben war nicht einmal mit Wasser gefüllt, sondern nur mit angespitzten Pflöcken gespickt, und statt einer Zugbrücke gab es lediglich einen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher