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Bankgeheimnisse

Bankgeheimnisse

Titel: Bankgeheimnisse
Autoren: Anne Sievers
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der in einiger Entfernung angebrachten Absperrung genug Presseleute warteten. Er erkannte mit Befriedigung die Wirtschaftsredakteure von zwei großen Fernsehsendern und mehrere Journalisten von Zeit und Wirtschaftswoche.
    Er beobachtete scharf die Gesichter der Umstehenden in seiner Nähe. Die meisten waren ihm bekannt. Zwei Ministerpräsidenten. Der Bundesfinanzminister und seine Frau. Die Vorstandsvorsitzenden fast aller namhaften Banken in Frankfurt, immerhin rund zwei Dutzend von den insgesamt etwa vierhundert Instituten. Zahlreiche Größen aus der Industrie. Sogar ein Gewerkschaftsboß.
    Die Vorstandsmitglieder der Banken kannte er persönlich, ebenso die meisten der Geschäftsführer. Seine Blicke blieben auf einer zierlichen blonden Frau hängen. Johanna Herbst, der Protegé Klingenbergs. Sie trug einen breitkrempigen schwarzen Hut, von dem ein feiner, aber dichter Schleier herabfiel und ihr Gesicht verdeckte. Kleid und Pumps waren ebenfalls schwarz und von bestechender, kostspieliger Eleganz. Er konnte seine Augen nicht von ihr wenden. Zwischen seinen Schulterblättern und in seinem Nacken sammelte sich juckender Schweiß. Er verfluchte die Hitze, schloß die Augen, öffnete sie wieder, um erneut die Frau zu betrachten. Er kannte sie nicht, würde sie aber bald kennenlernen. Sehr bald.
    Johanna stand am Rande der Menge. Sie hatte sich von Anfang an in Richtung Ausgang orientiert. Wenn alles vorbei war, wollte sie so schnell wie möglich verschwinden, ohne sich erst durch das Gedränge der Trauergäste schieben zu müssen. Sie hatte Wiking bereits kondoliert. Der Blick seiner wasserhellen Augen hatte sich in die ihren gebohrt, und er hatte ihre Hand einen Sekundenbruchteil zu lange in der seinen gehalten.
    Sie warf eine Schaufel Erde auf den herabgelassenen Sarg. Das dumpfe Poltern verursachte ihr Magendrücken, weil sie sich vorstellte, wie der Leichnam unter dem mit reichen Schnitzereien verzierten Eichendeckel aussehen mochte. Der Gedanke daran war ihr bereits in der Kapelle gekommen, ließ sie nicht mehr los. Wieviel war noch da von dem Menschen Harald Klingenberg, nach einem gewaltsamen Tod, ausgiebiger Sezierung und zwei Wochen Leichenschauhaus? Sie versuchte, die morbide Faszination dieser Vorstellung abzuschütteln, aber sie schaffte es nicht. Die Gedanken taten ihr sehr weh, doch ihre Augen waren trocken. Alles, was sie an Tränen gehabt hatte, war an seinem Todestag geflossen. Heute vergoß sie nur Schweiß. Es war mörderisch heiß, die Trauergemeinde am offenen Grab war eine schwarze Masse, ein einziges schwitzendes, unter der Sonne brütendes Tier.
    Johannas Kleid war denkbar leicht und dünn, ein knielanger Traum aus mattglänzendem Crêpe de Chine mit spitzenverziertem, schwingendem Saum. Leo hatte gestern damit vor der Tür gestanden. Er hatte es von einem Wochenendtrip aus Rom mitgebracht, verpackt in einer edel lackierten Tüte, die er durch den Briefschlitz gezwängt hatte. Johanna hatte nach der letzten Begegnung das Schloß auswechseln lassen. Es war nicht zu der von ihr befürchteten Szene gekommen, als sie ihm durch die geschlossene Türe mitgeteilt hatte, wohin er sich in Zukunft seine Kleider stecken konnte. Er hatte es überraschend gelassen aufgenommen und lediglich der Tüte hinterhergerufen, daß in dieser Angelegenheit das letzte Wort noch nicht gesprochen wäre.
    Zwischen den schwarzen, unbeweglichen Gestalten leuchtete etwas auf. Sie kniff die Augen zusammen, hielt die Luft an. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können. Hellblondes Haar, ein schmales Gesicht. Micky. Er sah schlecht aus. Er war dünner als bei ihrem letzten Zusammentreffen, seine Augen lagen tief in den Höhlen. Ihre Blicke trafen sich, und sie machte unwillkürlich einen Schritt in seine Richtung. Er trat einen Schritt zur Seite, wich zurück hinter eine Gruppe von Trauergästen. Sie blieb kurz stehen, orientierte sich, bis sie ihn erneut sah. Dann setzte sie sich wieder in Bewegung, drängte sich zwischen den Umstehenden hindurch und ging auf ihn zu.
    Als sie tiefer ins Gedränge vorstieß, verlor sie ihn erneut aus den Augen. Die meisten der Leute um sie herum überragten sie und versperrten ihr die Sicht. Sie unterdrückte einen Fluch, als sie die Stelle, an der er eben noch gestanden hatte, leer fand. Er war verschwunden. Offensichtlich wollte er sie nicht sehen. Es war sinnlos, ihm nachzulaufen.
    Jemand sprach sie an. »Frau Dr. Herbst, welch ein Zufall.« Sie drehte sich zu dem
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