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Balkan Blues

Balkan Blues

Titel: Balkan Blues
Autoren: Petros Markaris
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zusammengekauert auf dem Fußboden, doch den Kopf hebe ich nicht. Das hat mir Nina beigebracht. »Wenn sie mit dem Prügeln aufhören, schau sie nicht an. Dein Blick irritiert sie, und sie fangen wieder von vorne an.«
    Ich höre Andreas’ Stimme. »Mach schon, überschmink die blauen Flecken, und in einer Stunde bist du wieder hier. Und wenn du mir nochmals solche Mätzchen machst, dann zeigen dich bald alle Fernsehkanäle als Heroinleiche nach ‘ner Überdosis.«
    Ich höre, wie die Tür hinter ihm ins Schloß fällt. Ich setze mich im Bett auf und kann nur mit Mühe aufstehen. Ich weiß nicht, was mich mehr schmerzt – mein Körper oder meine Wut: Wut über die ungerechten Prügel, Wut auf Andreas, der mir gerade mal einen Zehner läßt, Wut darauf, daß er meinen Paß einbehalten hat, um mich in der Hand zu haben.
     
    Das Haus ist alt und hat zwei Stockwerke, es liegt in einer kleinen Straße hinter dem Koumoundourou-Platz. Das Erdgeschoß dient als Lagerraum. In der oberen Etage wohnen wir zu dritt: Varja, Nina und ich, jede in einem Zimmer. Varja ist Russin, Nina Rumänin.
    Die Treppe ist unbeleuchtet. In der Dunkelheit taste ich mich die Wand entlang und bleibe immer wieder stehen, denn bei jedem Schritt durchzuckt ein lähmender Schmerz meine Rippen. Ich stolpere gerade zu meiner Tür, als ich Varjas flüsternde Stimme höre: »Sonja … Sonja …«
    Ich wende mich um, es ist aber niemand da. Ein Lichtstreifen fällt aus Varjas Tür, die Stimme muß aus dem Zimmer kommen. Ich habe jedoch keinerlei Lust, meine schmerzensreiche Geschichte zu erzählen. Ich würde mich gerne ein Stündchen aufs Ohr legen, mich ein wenig erholen, die blauen Flecken überschminken, bevor ich an die Bar zurückmuß. Doch da ich mich Varja verbunden fühle – Verzweiflung verbindet –, kann ich nicht so tun, als hätte ich sie nicht gehört.
    Wahrscheinlich hat sie meinen Schatten durch den Türspalt erkannt, denn sie stößt die Tür ein wenig auf. »Was gibt’s? Arbeitest du heute abend nicht?« frage ich sie auf russisch. Russisch war in der Schule ein Alptraum für mich. Ich sah nicht ein, wozu mir diese Sprache nützen sollte, und betrachtete den Unterricht als reine Zeitverschwendung. Egal, welchen Beruf du ausüben wirst, du wirst es gebrauchen können, sagte meine Lehrerin, die mich gern hatte. Und siehe da, sie hatte recht behalten.
    »Komm rein«, sagt Varja, aber sie macht die Tür nicht ganz auf. Sie läßt mich durch den Spalt hineinschlüpfen und schließt sie sofort wieder.
    Wäre die Tür nicht ins Schloß gefallen, ich hätte mich umgedreht und die Flucht ergriffen – mitten im Zimmer liegt Kostas auf dem Rücken. Die Finger seines ausgestreckten rechten Arms berühren das Tischbein. Der linke Arm ist angewinkelt und die Hand zur Faust geballt. Sein Blick ist auf den linken Arm gerichtet, als wolle er prüfen, ob seine Muskeln gut durchtrainiert sind, doch das in sein Herz gerammte Messer versperrt ihm die Sicht. Es ist ein einfaches Küchenmesser mit Holzgriff.
    »Ich hab ihn umgebracht«, höre ich Varja sagen. »Er saß am Tisch beim Essen. Ich kam rein, da fing er schon an, mich zu prügeln …«
    Sie beginnt zu zittern, ihre Worte gehen im Schluchzen unter. Zum Teil liegt es an ihrer Aufregung, zum Teil an meinem notdürftigen Russisch, daß ich nur die Hälfte von dem, was sie mir erzählt, verstehe. Aber was sollte ich schon Neues hören? Die Geschichte kenne ich auswendig. Varjas Pech war, daß ihr kurz nach ihrer Ankunft in Athen Kostas über den Weg lief. Er nahm sie bei sich auf, machte sie zu seiner Freundin, schickte sie aber auch zu Kunden. Und er war eifersüchtig. Jedes Mal, wenn sie von einem Kunden zurückkam, prügelte er sie.
    »Gleich als ich reinkam, schlug er zu. Ihr Russinnen seid alle Flittchen, schrie er. In der Zeit des Kommunismus seid ihr als Prostituierte nach Griechenland gekommen. Dann, als die Kommunisten gestürzt waren, habt ihr euch wieder prostituiert.« Sie scheint fast wie eine Asthmakranke zu ersticken und schnappt nach Luft. »Ich wollte ihn nicht töten«, sagt sie dann und bricht in Tränen aus. »Ich sah das Messer auf dem Tisch liegen und wollte ihn damit erschrecken. Keine Ahnung, wie es dazu kam, daß ich zugestochen habe.«
    Anfängerglück: Sie hat ihn mitten ins Herz getroffen. Mein Blick ist auf Kostas geheftet, als ich ein dumpfes Geräusch höre. Es ist Varja: Sie schlägt ihren Kopf gegen die Wand. Ich laufe zu ihr hin und umarme sie. »Nicht«, sage ich.
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