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Toedliche Offenbarung

Titel: Toedliche Offenbarung
Autoren: Cornelia Kuhnert
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1
     
    Samstagmorgen gegen acht wacht die Eilenriede auf. Die Menschen strömen in Sportschuhen und Trainingshosen auf Hannovers Stadtwald zu, stehen unruhig dribbelnd am Straßenrand und warten darauf, dass die Fußgängerampel auf Grün schaltet und sie losspurten können. Einer von ihnen ist Hauptkommissar Max Beckmann. Gestern Morgen hatte er lange suchen müssen, bis er seine Laufschuhe schließlich in einer der Umzugskisten fand, die er bei der letzten Versetzung erst gar nicht ausgepackt hatte. Zerdrückt und vergessen lagen sie ganz unten im Karton. Beckmann zog sie dort erst heraus und dann an. Er kam nicht weit. Zwei Etagen tiefer begannen die Schaumsohlen auf der Treppe zu bröseln, im Hauseingang lösten sich bereits Teile der Sohle vom Schuh. Statt zu joggen, machte sich Beckmann vorm Dienst noch in ein nahe gelegenes Sportgeschäft auf.
    »Supernova Cushion«, raunte ihm der Verkäufer zu. »Super Dämpfung, perfekt für längere Asphaltläufe und hohes Lauftempo. Kann ich nur empfehlen, es sei denn, Sie haben Platt- oder Senkfüße.«
    Die hat er nicht – und längere Läufe und höheres Tempo strebt er an. Also bewegt sich Beckmann jetzt im Pulk der Jogger, erhöht sein Schritttempo in Höhe der Hohenzollernstraße und steuert auf den Lister Turm zu. Kurz davor geht ihm die Luft aus, schnaufend lehnt er sich an einen Baum. Seine Lunge sticht. Ob das wirklich gesund ist? Er beugt sich vor, atmet ein und aus, sein Pulsschlag beruhigt sich nur langsam. Mit gleichmäßigen Schritten geht er den breiten Asphaltweg zurück, dann beschleunigt er erneut sein Tempo. Die nächsten hundert Meter hat er schnaufend hinter sich gebracht, als eine Gruppe von Joggern in bunter Kleidung auf ihn zurollt. Wer ausweicht, hat verloren. Beckmann gibt trotzdem nach und macht einen Schritt zur Seite. Der Jogger im pinkfarbenen Nylon auch, doch von hinten prescht ein Inlinefahrer heran und schlägt einen Haken. Ein spitzer Ellenbogen rammt Beckmann, er strauchelt und reibt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Rippen. Wie hat er bloß glauben können, dass er der Einzige sei, der mit einer Joggingrunde in diesen strahlenden Sommertag startet? Noch dazu, wo es tagsüber so heiß werden soll, dass man am liebsten in der kühlen Wohnung bleiben würde – wenn man denn eine hätte.
    Beckmanns neues Zuhause ist ein in den siebziger Jahren ausgebauter Wäscheboden in der Wedekindstraße. Dass die Wärmedämmung eines Daches nicht nur im Winter von Nutzen ist, daran hatte beim Ausbau niemand gedacht; er selbst bei der Besichtigung der Wohnung auch nicht. Die redegewandte Maklerin überzeugte ihn schnell von den unübersehbaren Vorteilen: »Ein so großzügiges Loft mitten in der List müssen Sie mit der Lupe suchen.«
    Loft? Na ja. Die Wände zwischen den Zimmern und zur Küche fehlen, einzig das Badezimmer ist mit einer dünnen Sperrholzwand abgetrennt, durch die man alle Geräusche hört, sogar die, die man am Küchentisch nicht hören möchte. Vor sechs Wochen hatte ihn das nicht weiter gestört, da wollte er nur noch weg aus Burgdorf, dieser Kleinstadt, wo jeder jeden kennt und ihm die Luft zum Atmen fehlte. Nein, das stimmt nicht. Er fängt schon wieder an, sich etwas vorzumachen, die Dinge so zu verdrehen, wie sie ihm passen. Eigentlich hatte Beckmann sich zum Schluss ganz wohl dort gefühlt. Mit seinen Kollegen Borgfeld und Streuwald war er bestens klargekommen – und auch sonst: der Biergarten auf dem Spittaplatz, die Abende mit Martha im Dorfkrug. Martha. Genau das war der Haken.
    Sofort sieht er sie vor sich: Dunkle, halblange Haare, volle, geschwungene Lippen, grüne Augen, ihr Grübchen in der rechten Wange, wenn sie lacht. Dieses Lächeln, diese Stimme. Schluss. Er hat es vermasselt. Keine Entschuldigung, die hat er nicht verdient. Aber ein bisschen Nachsicht. Er zieht das Handy aus der Hosentasche und tippt unter Favoriten auf »M«.
    Nach dem dritten Klingeln springt die Mailbox an.
     

2
     
    Uwe Zwingel sieht auf die Uhr. Viertel nach acht. Gleich hat er diese Schnupperkursstunde hinter sich gebracht.
    »Ganz locker schwingen. Die Augen sind nach unten gerichtet. Die Füße stehen fest, die Schulter dreht sich, dann die Hüfte … und nun mit Schwung durch den Ball ziehen.«
    Marthas Arm schwingt mit dem siebener Eisen nach oben, verweilt einen Augenblick in Schulterhöhe, saust kraftvoll nach unten und – bleibt in der Grasnarbe stecken. Verdammt. Sie reibt sich das schmerzende Schultergelenk. Wäre sie bloß
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