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Balkan Blues

Balkan Blues

Titel: Balkan Blues
Autoren: Petros Markaris
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Als ob sie eine andere Wahl hätte.
    »Kostas hat hier sein Heroin versteckt.«
    Ich begreife sofort, worauf sie hinauswill. Wenn man das Heroin findet, wird es heißen, sie hätte ihn wegen des Rauschgifts getötet. Wie soll sie dann das Gericht davon überzeugen, daß sie ihn umgebracht hat, weil er sie aus Eifersucht schlug? Wer ist auf eine illegal eingewanderte Russin eifersüchtig?
    »Wo hat Kostas sein Heroin aufbewahrt?«
    »In der Küche. Zwischen dem Reis und den Makkaroni. Weil es aussieht wie Zucker.«
    Ich gehe in die Küche und finde die Tüte wie von ihr beschrieben vor. Mit den Fingerspitzen lasse ich sie in meine Tasche gleiten. »Ich lasse es verschwinden, damit sie es hier nicht finden. Und du gehst zur Polizei. Es spricht für dich, wenn du dich stellst.«
    Sie bricht wieder in Schluchzen aus. »Ich habe ihn getötet. Nur das zählt.«
    »Nina und ich kommen als Zeuginnen. Wir werden aussagen, daß er dich gequält hat und du in Notwehr gehandelt hast.«
    »Laß mich nicht allein«, fleht sie.
    Wenn ich mit ihr zur Polizeistation gehe, dauert es bis morgen früh, und wer schützt mich dann vor Andreas? Andererseits ist sie meine Freundin, und ich kann sie nicht ihrem Schicksal überlassen. Ich fasse sie bei den Schultern und drücke sie sanft in Richtung Tür. Bevor wir hinausgehen, blickt sie mich an und lächelt.
    »Wenn du eine Viertelstunde eher gekommen wärst, wäre er vielleicht noch am Leben«, meint sie bitter.
    Ihre Bitterkeit ist nicht gegen mich gerichtet, nur gegen ihr eigenes Los. Ich schaue noch mal zurück zu Kostas, aus dessen Brust das Messer wie die Stange einer kleinen, in den Sand gerammten Papierfahne ragt. In meinen Ohren klingen Andreas’ Worte: »Gottverdammte Scheiße, mir dir hat man nichts als Ärger.«
    Ich ziehe Varja zurück ins Zimmer. »Bring mir eine Plastiktüte und ein Bettuch«, sage ich.
    Sie blickt mich verwundert an. »Was willst du damit?«
    »Geh schon und frag nicht lange.«
    In der Zwischenzeit hole ich ein Papiertaschentuch hervor, wickle es um den Schaft und ziehe dann das Messer heraus. Das Blut reicht bis zur Hälfte der Klinge. Ich wische den Griff mit dem Taschentuch sauber, um Varjas Fingerabdrücke zu entfernen. Danach reinige ich gründlich die Klinge, sorge jedoch dafür, daß ein wenig Blut am Rand klebenbleibt. So als ob sich jemand die Mühe genommen hätte, das Messer zu säubern, ihm aber ein Tropfen entgangen wäre.
    Varja kehrt mit einer Plastiktüte und einem gelben Leintuch zurück. Ich wickle das Messer in die Plastiktüte und stecke es in meine Tasche.
    »Hör mir gut zu«, sage ich. »Wir gehen nicht zur Polizei. Du bleibst hier, und wenn die Bullen kommen, sagst du, Andreas hätte ihn umgebracht. Er sei plötzlich hier aufgetaucht, sie hätten um das Rauschgift gestritten, seien zusammen hinunter gegangen, und dort hätte er ihn umgebracht. Beide haben mit Frauen und mit Heroin gedealt, sie haben sich in die Haare gekriegt, und er hat ihn erstochen. Mir würde das einleuchten. Warum sollten sie es nicht glauben?«
    Varja blickt mich an und rührt sich nicht von der Stelle. »Ist Andreas nicht an der Bar?« fragt sie.
    »Als du Kostas umgebracht hast, war er nicht dort. Er ist erst nachher gekommen. Vorwärts, hilf mir, ihn in das Leintuch zu wickeln und ihn hinunterzutragen, auf die Brache.«
    Die Brache ist eine Müllkippe neben dem Haus Ich rede auf Varja ein, damit sie aus ihrer Lethargie erwacht. Zum Glück ist die Leichenstarre noch nicht eingetreten, und wir hüllen ihn ohne große Schwierigkeiten in das Laken. Aber als ich die beiden Enden packe, um ihn hochzuheben, durchzuckt der Schmerz wieder meinen Körper, und mir erlahmen die Kräfte. Ich denke kurz an die Möglichkeit, ihn über den Boden zu schleifen, aber der ist schmutzig, und die Polizisten könnten die Spuren entdecken. Ich beiße die Zähne zusammen und kralle meine Finger in das Laken. Die Treppe ist eng und stockdunkel. Bei jedem Schritt laufen wir Gefahr, daß wir ausgleiten und die Leiche uns unter sich begräbt.
    Ich stoße die Eingangstür halb auf und spähe hinaus. Eine Gruppe junger Leute geht johlend und singend vorüber. Als sie in Richtung Omonia-Platz verschwinden, hasten wir mit der Leiche zur Brache. Wir wickeln sie aus dem Bettuch, und Kostas fällt – zum Glück – auf den Rücken. Ich würde mich am liebsten erschöpft neben ihn legen, nur mit Mühe halte ich mich aufrecht. Ich zerknülle das Laken und mobilisiere meine letzten
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