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Balkan Blues

Balkan Blues

Titel: Balkan Blues
Autoren: Petros Markaris
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unten.
    Der linke Fuß des Ankömmlings will schon über den anderen linken hinwegschleifen, bleibt jedoch zwischen den beiden Füßen hängen, kann sich nicht befreien, stolpert und zieht den gegnerischen rechten Fuß ein Stück mit sich. Schließlich kommt er neben ihm zum Stehen, allerdings landet auch das Knie am Boden.
    »Was fläzt du dich um elf Uhr vormittags in der Sonne, hä, du Nichtsnutz? Du glaubst wohl, du bist immer noch zu Hause, wo dich die Partei ernährt?«
    Die Füße entfernen sich, vom Zorn getrieben, jetzt noch schneller. Die Finger der rechten Hand öffnen sich und fassen nach der Birne. Die angebissene Stelle ist schwarz. Die Finger heben die Birne hoch und wollen sie zur Hose führen, überlegen es sich jedoch auf halbem Wege anders und wenden sich zum linken Hemdsärmel. Als sie die angebissene Stelle daran abwischen, sieht es aus, als spränge die Birne wie ein Läufer auf dem Schachbrett diagonal hin und her. Schließlich schweben die Finger in die Höhe und führen die Birne zum Mund. Zeitgleich werden die beiden Fersen eng an den Körper herangezogen, um weitere Zusammenstöße zu vermeiden.
    »He, Einauge, mach schon, hol fünf Steigen Zuckermelonen von Stamatakos’ Laden und bring sie zum Lastwagen.«
    »Warum du gibst Arbeit nur ihm und nicht uns?«
    »Weil er nur die Hälfte nimmt. Das nennt man jetzt Globalisierung! Weißt du, was Globalisierung heißt? Daß arme Schlucker aus allen verdammten Balkanländern zu mir kommen und für einen Bissen Brot für mich arbeiten. Und ich gebe die Arbeit demjenigen, der den kleinsten Bissen will. Das heißt Globalisierung, verstehste!?«
    »Der ist keiner von uns.«
    »Das geht mir am Arsch vorbei. He, Einauge, beweg dich!«
    Die halb aufgegessene Birne löst sich aus der Handfläche und kullert auf den Boden, während die beiden Hände nach hinten fassen. Die Finger krallen sich in die Wand und klettern langsam hoch. Sobald der Körper ganz aufgerichtet ist, machen die Füße eine halbe Drehung und richten sich geradewegs auf das gegenüberliegende Gebäude. Sie halten unbeirrt auf ihr Ziel zu, wie ein Schiff auf die Hafeneinfahrt.
    Der Boden des Gebäudes ist wie ein zertrampelter Gemüsegarten mit Abfällen übersät: Salatköpfe, Weißkohl, Tomaten, Blumenkohl. Geschickt bewegen sich die Füße zwischen den Gemüseresten, treten nur auf die festen Teile mit den großen Blättern und weichen den glitschigen Stücken aus, auf denen sie ausrutschen könnten. Ringsum wird ein verbaler Kampf ausgetragen: Die einen loben die Qualität ihrer Ware, die anderen heben den Preis der ihren hervor, die dritten fordern die Käufer auf, ihre Produkte zu bewundern.
    Unaufhaltsam nähern sich die Füße den Steigen mit den Zuckermelonen, halten jedoch kurz davor inne. Die linke Hand fährt in die Hosentasche, während die rechte beginnt, den linken Arm unter der Manschette mit dem Schachbrettmuster zu reiben – eine Geste des Abwartens und der Verlegenheit.
    »Gib mir Steigen mit Zuckermelonen.«
    »Wie kann ich sie dir geben, wenn Theofanidis das Einauge will.«
    »Ich arbeiten für gleiche Geld.«
    »Das mußt du schon Theofanidis selbst sagen. Ich tue, was er mir sagt, ich habe keine Lust, mich mit Mafiosi einzulassen. Komm, Einauge.«
    Der rechte Fuß setzt sich zuerst in Bewegung, der linke folgt nach. Die Schritte beschleunigen sich, während sich die beiden Hände nach vorne strecken, als könnten sie es nicht erwarten, die Steigen zu packen, bevor ein anderer es tun kann. Die Füße bleiben vor den Steigen mit den Zuckermelonen stehen. Sogleich umklammern die Hände die obersten fünf Steigen wie Schraubstöcke. Die Füße stellen sich auf die Entfernung ein und machen einen Schritt zurück, um den Händen die nötige Bewegungsfreiheit zu lassen, die Steigen schwungvoll und entschlossen herunterzuhieven. Doch die Last ist schwer, und als sich die Steigen aus dem übrigen Stapel lösen, nehmen sie Kurs in Richtung Boden. Die Hände können die Abwärtsbewegung nicht aufhalten und werden mitgezogen, während die Knie einknicken, ohne noch etwas ausrichten zu können. Die Steigen landen schließlich auf dem rechten Fuß, der nicht – so wie der linke – rechtzeitig zurückgesprungen ist. Die Hände bleiben einen Augenblick lang reglos, sind unfähig zu reagieren. Doch als die oberste Steige kippt und die Zuckermelonen auf den Boden zu fallen drohen, kommen sie zu sich. Alle beide schnellen nach oben, bilden einen Schutzschild vor den Steigen und
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