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Balkan Blues

Balkan Blues

Titel: Balkan Blues
Autoren: Petros Markaris
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einmal erfüllte Vassilis derselbe Zorn wie an dem Tag, als er zum ersten Mal als bosnischer Serbe auftrat. Wutentbrannt trat er nach dem Kellner. Der stolperte und stieß gegen den Tisch des Pärchens, so daß der Teller mit den Leckereien vom Grill auf den Schoß der Frau rutschte und diese hysterisch anfing zu schreien. Recht geschieht ihr, dachte Vassilis, schließlich war sie es gewesen, die die anderen aufgewiegelt hatte.
    Korachais, dem Kellner und dem Ehemann der Geschädigten gelang es schließlich, ihn bis zum Eintreffen des Streifenwagens ruhigzustellen.
     
    »Schickt sie doch alle wieder zurück nach Hause, damit endlich Ruhe ist!«
    Die Hysterie der Frau war zum Selbstläufer geworden. Sie hatten einen Halbkreis um Vassilis gebildet.
    »Ich kann ihn nicht zurückschicken«, entgegnete der diensthabende Offizier in der Polizeistation müde. »Er kommt aus einem Land, in dem Bürgerkrieg herrscht, er hat den Status eines politischen Flüchtlings.« Er wandte sich an Vassilis: »Deine Papiere.«
    »Ich nix Papiere. Ich politisch Flüchtling, ich heimlich gekommen.« Er sprach so wie alle illegalen Einwanderer in solchen Fällen, ohne dem Ordnungshüter in die Augen zu sehen.
    »Bitte sehr, jeder Schweinehund kann einem das Lokal in Stücke schlagen und sich dann als politischer Flüchtling ausgeben!« schrie Korachais entrüstet.
    »Wo haben Sie ihn aufgegriffen?« fragte der Polizeioffizier den Beamten.
    »Im Park, Herr Hauptwachtmeister.«
    »Haben Sie eine Genehmigung, Tische im Park aufzustellen?«
    Korachais blickte ihn durchdringend an, um das Offensichtliche zu bekräftigen: daß er nämlich jemanden schmierte. Doch der Hauptwachtmeister ließ sich nicht beeindrucken. »Haben Sie eine Genehmigung?« beharrte er.
    »Und wenn ich keine habe, darf er mir die Tische zerschlagen und die Gäste vergraulen?«
    »Dann zeigen Sie ihn an.«
    »Ja schön, um dann einen jahrelangen Prozeß zu führen.«
    »Das ist Ihre Sache.«
    Da er nirgendwo Unterstützung fand, wandte sich Korachais an Vassilis. »Mit so einem Scheißstaat geschieht es uns recht, wenn ihr unsere Wohnungen ausräumt und unsere Läden kaputtmacht.«
    »Mittlerweile lassen sie sich sogar von den Illegalen erpressen«, meinte die Frau zu ihrem Mann, als sie auf den Flur der Polizeistation traten.
    Der Hauptwachtmeister hatte es gehört, war jedoch solche Vorwürfe gewohnt und schenkte ihnen keine Beachtung. Er blickte Vassilis an. »Da es keine Anzeige gegen dich gibt, kannst du gehen.«
    »Du gut Mensch. Du lieben Menschen aus meine Heimat.«
    Er mußte gar nicht mehr auf seine Sprache achten. Ganz selbstverständlich und spontan radebrechte er.
    »Laß die Schmeicheleien und hau ab. Du hast Glück, daß ich diesen Arsch nicht leiden kann.« Er meinte Korachais.
    Mit einem letzten »Tanke« machte er seinen Abgang.
    Er nahm zwei Stufen auf einmal. Im Erdgeschoß hielt ihn eine aufgeregte Vierzigjährige an. »Wissen Sie vielleicht, in welchem Stockwerk der diensthabende Polizeioffizier ist?«
    »Ich verstehe nicht, ich bin Ausländer«, antwortete er auf serbisch.
    Die Polizeistation lag in einer verlassenen und schlecht beleuchteten Straße. Nur ein durchgehend geöffneter Kiosk verbreitete ein wenig Licht. Er nahm das Pappschild ab – es hatte bei dem Streit mit Korachais gelitten –, strich es notdürftig glatt und hängte es sich wieder um den Hals. Er lehnte seinen Rücken an die Kioskwand und ließ sich nach unten sinken, bis sein Hinterteil auf den Gehsteig traf. Seine Blechbüchse war verlorengegangen, und so breitete er sein Taschentuch aus. Weder Autos noch Busse fuhren vorbei, und die spärlich vorbeikommenden, achtlosen Passanten hatten es eilig. Doch unverdrossen blieb er, mit seinem Schild um den Hals, bis weit nach Mitternacht sitzen: »Ich bin bosnischer Serbe, ich habe Hunger.«

Im Vorbeigehen
    Die beiden Hände umklammern die Obststeigen mit den Birnen. Die Hauptlast ruht auf den Handflächen, während die beiden Daumen in die unterste Steige eingehakt sind. Die Arme verschwinden in zwei langen Hemdsärmeln mit schwarzweißem Schachbrettmuster. Der linke Manschettenknopf fehlt, und die beiden losen Enden flattern um das Handgelenk.
    Die Füße stecken in Turnschuhen. Der Leinenstoff ist an den Seiten dunkelrot und oben schwarzbraun – die Farbmischung variiert je nachdem, welche Art von Schmutz sich gerade darauf festgesetzt hat.
    »Nicht dorthin! Auf den anderen Stapel mit der guten Ware! Das hab ich dir doch schon
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