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Backstage

Backstage

Titel: Backstage
Autoren: Marion Schwarzwälder
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drückende Gewissheit, dass seine musikalischen Defizite sie eines Tages trennen würden, ihn und Tom. Dieses Mal war seine Rolle in diesem Duo klar: Der alte Freund, der Vertraute. Und für ihn, Panitz, Anfang und Aufbruch. Und Rettung.

paula und melissa

TEIL EINS

EINS
    «Willst du noch einen Kaffee?»
    Berlin. Prenzlauer Berg. Frühstücken in einer kleinen Bäckerei, Kaffee satt.
    Noch gab es den Bäckerladen mit Schrippen aus eigener Backstube; die Fußpflegerin, bei der sich alte Frauen bedienen ließen, die sich nicht mehr bücken konnten; Frauen, die ihr ganzes Leben in diesem Kiez, in einer Wohnung, manche die der Eltern, verbrachten. Der Handwerker, der in Hausfluren die Stummen Portiers mit neuen Namen versah, wenn wieder jemand ins Umland zog. Kleine Geschäfte, in denen die Großstadt-Zeit anhielt, ein Wort gewechselt, für viele das einzige Gespräch des Tages. Aber es häuften sich die leeren Schaufenster mit den Schildern: zu vermieten, ohne Provision.
    In diesem Kiez. Es gab Stadtteile wie Dahlem, die lagen auf einem anderen Finanzstern.
    Melissa gähnte. Sie hatte den Winter über durchgearbeitet. Heute begann ein neuer Auftrag, und sie war müde. Der Abend zu lange, in ihrer Stammkneipe, mit zwei Saxophonisten am Tresen, die davon redeten, dass sie in derselben Kleinstadt aufgewachsen waren. Damals, sagte der eine, habe er ihn nur als Konkurrenten gesehen. Je mehr Bier, umso aufgeplusterter die Beichte. Dazu Schnaps, den Melissa seufzend stehen ließ.
    «Ich kenne keine Konkurrenzgefühle zu Musikern», sagte schließlich der andere Saxophonist. «Ich war einfach besser als du.»
    Steigender Druck auf die ortsansässigen Musiker, die monatliche Kohle ranzuschaffen, nicht mal mehr die fünfzig Euro, der frühere Hunderter, war gesicherte Gage, oft war es der Eintritt, die Hälfte kassierte der Veranstalter. Man spielte sich in halb leeren Clubs den Arsch ab, drei Sets, bis in die Nacht. Während tausende Fans bereit waren, fette Kohle für die großen Acts zu bezahlen.
    «Schicke Limo», sagte die Bäckerin.
    Melissa nickte. Dieses Auto war ein Schiff, mit getönten Fensterscheiben, eine Limousine, die schon von weitem schrie, dass hier ein Jemand kam.
    Brauns Manager hatte präzise Anweisungen bezüglich des Autos gegeben.
    «Wen holst du denn heute ab?»
    «Einen Sänger», antwortete Melissa und leerte den Rest des Kaffees.
    «Sag schon, wer ist es?»
    «Tom Braun.»
    «Wow. Der hält sich schon lange, was?»
    «Ich muss los», sagte Melissa, bezahlte, ging zum Auto, fuhr scharf an, bremste, stellte den Rückspiegel nach, gab Gas und legte auf der Seitenstraße probehalber eine Vollbremsung hin. Vollgetankt, Öl nachgefüllt, sie konnte sich darauf verlassen, dass das Auto sorgfältig gewartet war. Sie fuhr los, zum Flughafen Tegel, Berlins Stadtflughafen. An einer roten Ampel nestelte Melissa eine CD aus der Innentasche ihrer Jacke und legte sie in den Player ein.
    Melissa hatte sich die erste Scheibe ihres neuen Klienten besorgt, neu aufgelegt, nachdem die letzte Single sich schon so lange in den Charts hielt.
    Das hier, die Erste, war Rockmusik mit Gewissen. Für ihre Generation, die der Vierziger und älter, Themen, die längst salonfähig waren, ob in Ost oder West aufgewachsen. Neuerdings entdeckten ihn auch die Teenies, die diese Musik nicht als Revival, sondern als etwas Neues erlebten.
    Die kräftige Stimme hob sich ab von den üblichen Barden, die eingequetschtes Gesinge, mit minimalem Stimmumfang, als persönlichen Stil verkauften.
    Der Kerl konnte singen, intonierte sauber, hatte ein Timbre, das neugierig machte auf den Mann, der sich schon so lange im Musikgeschäft hielt, fünfzehn Jahre. Mal war es stiller um ihn, dann wieder überall ein neuer Song zu hören; die letzte Single hatte es wieder in die Charts geschafft.
    Auf der CD folgte eines dieser Antikriegslieder. Melissa warf einen Blick auf das Gesicht von Tom Braun auf dem CD-Booklet. Dunkles, langes Haar, glatt rasiert, mit markanten Gesichtszügen, helle, blaugraue Augen, volle Lippen, Falten, die sich von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln zogen.
    Melissa rief sich das aktuelle Foto, das der Manager an die E-Mail angehängt hatte, ins Gedächtnis. Das Gesicht schien glatt, voller, das Haar kurz, aber das machte noch nicht die Veränderung aus. Es waren die Falten zum Mund, die Melissa so attraktiv fand; sie waren im Laufe der Jahre nicht schärfer geworden, sie wirkten abgemildert.
    Tom Braun. Rockstar. Der eine
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